Der Markt für Bücher rund ums Laufen wird dominiert von Ratgeberliteratur, die uns zu besseren Läufern machen möchte. Bücher über das richtige Training, den schnellen Weg zum Marathon, das richtige Mindset und vieles mehr. Neben einer Reihe guter Ratgeber, die über die Zeit zu Klassikern geworden sind, findet man viel Halbseidenes.
Dieser Blogbeitrag widmet sich aber der kleineren Masse an Laufliteratur: Biografien, Erfahrungsberichten und den wenigen Romanen rund ums Laufen.
Der Mann, der barfuß lief
Autor: Paul Rambali Typ: Biografie
Handlung: Abele Bikilas Sieg beim olympischen Marathon 1960 in Rom ist Legende. Er errang die erste Goldmedaille für sein Heimatland Äthiopien, blieb aber vor allem deshalb in Erinnerung, weil er den gesamten Marathon ohne Schuhe lief. Als Ersatz für seine verschlissenen Laufschuhe fand man auf die Schnelle keinen passenden Ersatz und so lief Bikila wie er es schon sein ganze Leben tat. Als wäre das noch nicht bemerkenswert genug, stellte Bikila zugleich eine neue Weltbestzeit im Marathon auf. Vier Jahre später wiederholte er seinen Triumph und verbesserte in Tokio erneut die Weltbestzeit im Marathon, diesmal allerdings in Schuhen. Bikila steigt auf zum Helden seines Landes.
Auch wenn meine Erwartung als Läufer an das Buch anders gewesen ist, ist es insgesamt empfehlenswert. Nicht weil es sich dem Thema Laufen so gut nähert – an dieser Stelle wirken die Schilderungen des Autors ehrlich gesagt nicht immer so, als wäre er Experte auf diesem Gebiet -, sondern weil es ein nette geschriebener Roman ist, der vor dem Hintergrund von Bikilas Leben und dem seines Trainers Onni Niskanen auch Einblick in den mir fremden Staat Äthiopen und dessen Struktur gibt: Weder wusste ich, dass Ähtiopen die am längsten andauernde Monarchie der Welt war, noch, dass die Rastafari-Bewegung auf Haile Selassie I. zurückgeht.
Was stört, sind Fehler, die man mit einer einfachen Recherche aufdecken kann und die vermuten lassen, dass bei den biografischen und geschichtlichen Angaben ebenfalls Fehler bestehen.Im Buch wird geschildert, dass Bikila beim Olympischen Marathon in Tokio 1964 in Schuhen von Asics läuft. Auf Filmaufnahmen ist jedoch zweifelsfrei zu sehen, dass Bikila Puma-Schuhe trägt. Asics trug er anlässlich eines Marathons, den er 1961 in Tokio lief. Es ist ein kleines Detail, über das ich beim Lesen des Buches stolperte, die aber vermuten lassen, dass auch bei den geschichtlichen und biografischen Teilen des Buches nicht immer alles so ganz korrekt erscheint. Ein weiteres Beispiel gefällig? Über Mamo Wolde, Freund und Trainingspartner Bikilas, wird immer wieder geschrieben, er sei in Melbourne bei den Olympischen Spielen Vierter geworden. In den offiziellen Ergebnislisten ist Mamo Wolde 1956 nicht über den Vorlauf hinaus gekommen.
Lieblingssatz: „Der Marathon ist anders als andere Rennen, sagte er. Der Langstreckenläufer ist anders als andere Läufer. Er kann die Ziellinie nicht sehen. Wenn er startet, weiß er noch nicht mal, ob er das Ziel auch erreichen wird.“
Born to Run: Ein vergessenes Volk und das Geheimnis der besten und glücklichsten Läufer der Welt
Autor: Christopher McDougall Typ: Biografie
Handlung: Hinter dem sperrigen Titel verbirgt sich ein sehr lesenswertes Buch, das vom Outside Magazine als „Eine Mischung aus Abenteuer und sinnliche, wissenschaftliche Auseinandersetzung und Geschichte“ beschreibt. Im Kern berichtet der dauerverletzte Hobbyläufer und Autor des Buches davon, wie er bei seinen Recherchen auf die Tarahumara stößt, ein indigenes Volk, das zurückgezogen in den Barrancas del Cobre in Mexico lebt. Als „jene, die schnell laufen“ bezeichnen sich die Tarahumara, zu deren kultureller Eigenart eine Art rituelles Ballspiel gehört, bei dem sie große Strecken zurücklegen. Wettläufe in unwegsamen Gelände und die Ausdauerjagd sind bzw. waren ebenfalls Teil ihrer Lebensweise.
Zentrale Figur in McDougalls Buch ist der Aussteiger Caballo Blanco, ein US-Amerikaner, der beim legendären Leadville 100 an der Seite der Tarahumara lief. Als „Muli“ half er, ein denkwürdiges Kopf-an-Kopf-Rennen mit Ann Trason für die Tarahumara zu entscheiden. Mica True, wie Caballo Blanco eigentlich heißt, führt den Autor in das Laufen nach Art der Tarahumara ein. Dieser wiederum hilft dem Einsiedler seinen lange gehegten Traum von einem Ultralauf in den Barrancas del Cobre umzusetzen.
Neben den lebhaften Schilderungen des oben angesprochene Leadville-Rennens, der Vorbereitung und Durchführung des abschließenden Ultralaufs, ist der interessante Teil des Buches, der mich richtig gepackt hat, aus meiner Sicht der evolutionäre Aspekt. McDougall legt dar, wie der Mensch sich von einem Baumbewohner zum besten Läufer der Welt entwickelte und welchen evolutionären Vorteil er daraus zog. Das Laufen war unsere Waffe. Spannend! Empfehlenswert ist auch die Dokumentation „Die Geheimnisse des perfekten Läufers“, die genau diesen Aspekt aufgreift.
Lieblingssatz: „Denk einfach, mühelos, sanft und schnell. Fang mit einfach an. Wenn das alles, was du schaffst, ist das schon ganz ordentlich. Dann arbeitest du an mühelos. Verbinde das Laufen nicht mit Anstrengung […]. Wenn du das so lange geübt hast, das du gar nicht mehr ans Üben denkst, dann arbeitest du an saaanft. Du sorgst dich nicht mehr um den letzten Schritt – wenn du die ersten drei schaffst, wirst du schnell sein.“
Bekenntnisse eines Nachtsportlers
Autor: Wigald Boning Typ: Biografie
Handlung: Tja, was soll ich sagen? Ich hatte keine besonders hohe Meinung vom Autor, bis ich „Bekenntnisse eines Nachtsportlers“ in die Hände bekam. In diesem selbstironischen Buch berichtet der Autor gut lesbar und pointiert über seinen Weg zum Läufer und allerlei obskure sportliche Aktivitäten, vornehmlich nachts. Boning beschränkt sich nicht aufs Laufen, er nimmt an 24-Std.-Fahrradrennen im Olympiapark teil, erklettert die Zugspitze oder beschließt spontan an einem Wochenende mit dem Rennrad von Köln nach Paris zu fahren. Mir war es ein besonderes Vergnügen, die einzelnen Episoden aus dem Leben Bonings zu lesen. Nach der Lektüre erstrahlte der Autor für mich in einem anderen Licht und ich weiß endlich – ich bin mit meinem Laster, lange Ausdaueraktivitäten nach Einbruch der Dunkelheit durchzuziehen, nicht allein auf dieser Welt.
Lieblingssatz: „Klarer Fall. Ich bin süchtig, nach stundenlanger Bewegung, nach möglichst monumentalen Strecken, nach der hemmungslosen Albernheit, die auf den Hungerast folgt.“
Die Einsamkeit des Langstreckenläufers
Autor: Alan Sillitoe Typ: Roman
Handlung: Den Titel des Buches kannte ich bereits als geflügeltes Wort, mit dem ich mich auf meinen langen Läufen nur allzu gut identifizieren konnte. Es entsprach an manchem Trainingstag dem Gefühl, das durch den Lauf durch einen frühen Samstagmorgen erzeugt wurde. Es sprach mir aus der Seele.
Sillitoes Erzählung hat Kultstatus und gilt als ein wichtiges Stück zeitgenössischer Literatur. In ihrem Mittelpunkt steht der 17-jährige Colin Smith, der infolge eines Einbruchs in eine Bäckerei eine Gefängnisstrafe verbüßen muss. Dort fällt er dem Direktor durch sein Talent im Langstreckenlauf auf. Der Direktor schlägt dem Häftling daraufhin einen Handel vor. Smith soll zum Ruhme der Institution das jährliche Sportfest gewinnen. Im Gegenzug will sich der Direktor um die Zukunft des jungen Mannes kümmern.
Smith geht nur augenscheinlich auf das Angebot ein. Er nutzt die Freiheiten für sein Training und findet durch das Laufen zu sich selbst, im entscheidenden Rennen aber versagt er dem Direktor seinen Triumph. In Führung liegend verliert er das Rennen in voller Absicht.
Trotz seines Rufs als Kultbuch hat mich die Lektüre des Buches nie richtig in seinen Bann schlagen können. Zu wenig berührt das Buch für meine Geschmack das Thema Laufen. Im Mittelpunkt steht vielmehr das Innenleben der Hauptfigur.
Lieblingssatz: „Es lief doch darauf hinaus: gewinn den Lauf und sei ehrlich; und weiter trabtrabte ich und fühlte mich wohl wie nie, denn mir gefiel, wie ich vorwärts kam, weil’s mir guttat und mich zum Nachdenken brachte, was ich mittlerweile gern machte, aber ich scherte mich überhaupt nicht drum, wenn mir einfiel, dass ich nicht bloß laufen, sondern auch gewinnen musste. Eins von beiden: Ich musste das Rennen gewinnen oder laufen, und ich wusste, ich konnte beides […].“
Rashida oder Der Lauf zu den Quellen des Nils
Autor: Marc Buhl Typ: Roman
Handlung: In Rashida erfährt der Leser die unglaubliche Lebensgeschichte des Norwegers Mensen Ernst, der im 19. Jahrhundert durch verschieden Langstreckenläufe Bekanntheit erlangte. Er trat auf dem ganzen Kontinent bei Wettläufen an, maß sich mit menschlichen Gegnern ebenso wie mit Hunden und Pferden. Daneben machte er mit Langstreckenläufen auf sich aufmerksam. 1832 lief er von Paris nach Moskau, vier Jahre später sogar von Konstantinopel nach Kalkutta – und wieder zurück, insgesamt 8.300 km in 59 Tagen.
Die Geschichten über Ernst sind so wunderlich, so schier unglaublich, das man sich fragt, wie viele sich davon auf Fakten stützen und wie viel der Erzählung der literarischen Freiheit des Autors entspringt. Es empfiehlt sich, das Buch losgelöst von der Frage nach Authentizität zu lesen und ihn als das zu nehmen, was er ist: Ein unterhaltsamer Roman. Immerhin sind einige der geschilderten Ereignisse verbürgt. Der Untertitel des Buches wird damit erklärt, dass sich der läuferische Held am Ende des Romans mit den Karten seines Vaters auf die Suche nach den Quellen des Nils begibt.
Lieblingssatz: „Mensen Ernst kann nicht stillsitzen, er muss laufen. Stunde um Stunde, Tag um Tag.“
Once a Runner – Cassidys Lauf
Autor: John L. Parker Typ: Roman
Handlung: Once a Runner ist für mich eines der besten Bücher über das Laufen, vielleicht sogar das beste überhaupt. Einziges Manko: Es geht nicht um Langstreckenlauf, sondern Mitteldistanzen. Aber der Reihe nach.
Zurück von den Olympischen Spielen in Montreal blickt Quentin Cassidy, der Protagonist des Romans, zurück auf die letzten vier Jahre seines Lebens. Er ist zu Beginn des Rückblicks ein hochtalentierter Läufer, dessen sportlicher Traum es ist, die Meile unter vier Minuten zu laufen. Ein Traum, von dem ihn nur drei Zehntel Sekunden trennen. Als er nach einem Streit um die Kleiderordnung das College verlassen muss, an dem er trainiert, gerät sein Traum jedoch in Gefahr. Er zieht kurzentschlossen in eine Hütte im Wald und trainiert unter der Anleitung des Olympiasiegers Bruce Denton härter denn je. Ihr Ziel ist ein Wettkampf, an dem auch der beste Meilenläufer der Welt teilnimmt, der Neuseeländer John Walton. Weil Cassidy mit dem Rauswurf aus dem College das Recht verloren hat, an den Wettkämpfen der Institution teilzunehmen, planen sie eine Teilnahme unter einem Alias.
Denton ist überzeugt von Cassidys Talent – „Quenton […], du kannst so ziemlich alles. Hast du das noch nicht kapiert?“ – und verlangt ihm im Training alles ab. Gipfel ist ein Intervalltraining, bei dem Denton seinen Schützling bis an den Rand des geistigen und körperlichen Zusammenbruchs treibt. Sie starten zu einer Serie von 20 Wiederholungen. Cassidy wundert sich insgeheim über die Einheit, die zwar hart ist, aber weniger hart als er nach Dentons Ankündigung erwartet. Nach der ersten Serie von Intervallen, lässt Denton seinen Schützling die Serie wiederholen. Aber erst die dritte Serie, die Denton von Cassidy verlangt, bricht diesen psychisch fast.
Parkers Schilderungen der Tortur Cassidys und dessen Kampf gegen den Schmerz, zeugen von einer genauen Kenntnis der Martyrien. Sie machen die Qual greifbar und nachvollziehbar, ohne zu übertreiben oder zu verherrlichen. „Als er endlich weiterstolperte, blickte er nach oben zu den hellen Sternen, und die Tränen stiegen ihm in die Augen und rannen, vermengt mit dampfenden Schweiß, herab zu dem Speichel um seinen Mund und sein Kinn; er hatte buchstäblich den Eindruck, dass er schmolz, dass er sich trabend in einen flüssigen Menschen auflöste. Nur wenn er ein Intervall begann, wurde er wieder hart und solide.“
Schließlich tritt Cassidy verkleidet beim Meeting seines Colleges an. Wie erwartet, entwickelt sich das Rennen zu einem unerbittlichen Zweikampf zwischen Cassidy und Walton. Cassidys Tarnung fliegt im Laufe des Rennens auf, aber die Leitung des Colleges kann nichts tun, als mitanzusehen, was sich auf dem Oval abspielt. Mit völlig übersäuerter Muskulatur, kämpft Cassidy bis zur totalen Erschöpfung und schlägt den Favoriten um Haaresbreite. Besonders eindrücklich ist Cassidys innerer Kampf gegen die Schmerzen.
„Auf den letzten 50 Metern guckte er durch die zwei beschlagenen Fensterschlitze auf den heulenden, in Zeitlupe ablaufenden Albtraum um ihn herum, während er definitiv kaputt ging. […] Er besah sich das alles mit Abstand, während die Kugel kurz davor war, zu bersten und all ihr Gift zu verströmen […].“ Denton empfängt Cassidy im Ziel, fängt ihn auf und schärft ihm ein: „Merk dir das, Quenton, verdammt, vergiss das bloß nicht, denn es wird nie wirklich besser, hörst du mir zu, verdammt noch mal?“ Am Ende kehrt das Buch in die Gegenwart zurück zu Cassidy, der gehend Runden im Stadion seines Colleges dreht, er scheint sich zu verabschieden. Mit der Silbermedaille, die er bei Olympia errungen hat, ist er mit sich im Reinen, damit kann er leben.
Lieblingssätze: „Andere mochten mit den Armen rudern und herumwanken, aber der Läufer lief bis ans bittere Ende.“
„Der Läufer gerät fast täglich in physische Grenzsituationen, die der Nichtläufer nur in Notlagen kennenlernt.“
„Denton hatte ihm eingebläut, dass man kein guter Läufer wurde, indem man einen Frühstückslauf gewann. Sondern nur, wenn man es schaffte, seinen Ehrgeiz über Tage, Wochen, Monate, ja sogar (wenn man einmal so weit war, es zu akzeptieren) über Jahre hinweg aufrechtzuerhalten.“
Hysterie des Körpers
Autor: Joey Kelly Typ: Reportage
Handlung: Dass Joey Kelly ein ernstzunehmender Ausdauersportler mit Hang zu außergewöhnlichen Herausforderungen ist, war mir schon bekannt. Durch das Buch – halb Lebensgeschichte, halb Bericht über Kellys Versuch, Deutschland von Nord nach Süd zu durchqueren – habe ich jetzt erstmals Einblicke in seine innere Motivation und Gefühlswelt gewonnen. Und dieser Einblick lohnt durchaus.
Man kann von der Musik der Kelly Family halten, was man möchte, Joey hat durchaus Interessantes zu berichten.. Natürlich habe ich mir das Buch aber vorrangig wegen der Schilderung seiner Reise besorgt, bei der Kelly schläft, wo er Unterschlupf findet und isst, was er am Wegesrand findet. Seine Lebensgeschichte, die er in das Buch eingeflochten hat, und sein Weg zum Sportler sind amüsant und wie das übrige Buch immer wieder gespickt mit Selbstironie. Ein Beispiel: „Ich, der kleine pummelige Joey, lief meine ersten Wettkampfkilometer und kam tatsächlich ins Ziel.“ Das macht sympathisch. Was seine sportliche Herausforderung angeht, hält er nicht mit seinen Ängsten, negativen Gedanken und Gefühlen hinter dem Berg. Es ist so weniger eine Heldengeschichte, sondern ein Buch darüber, wie man gegen seine inneren Widerstände angeht.
Lieblingssatz: „Ich hatte kein Talent, ich war nicht besonders schnell, ich war einfach nur besonders unangenehm.“
Einen Sommer lang
Autor: Denis Wischniewski, Typ: Reportage
Handlung: Denis Wischniewski ist Herausgeber der Zeitschriften Trail und Ultra Running. In seinem Buch „Einen Sommer lang“ erzählt der Autor von seinem „Lebenslauf“ – wie er es nennt – von München nach Istanbul. Es ist aber auch eine Art Vater-Sohn-Geschichte. Das Verhältnis zum Vater ist für Wischniewski seit seinem Rauswurf zuhause angespannt. Er schildert den Vater als zu laut und unberechenbar. Jemand, der deutlich zeigte, dass er von seinen Kindern allzu enttäuscht aber auch für Denis da war. Nach 20 Jahren, in denen sich die beiden kaum sahen, begleitet und unterstützt der Vater seinen Sohn nun bei dessen Unterfangen.
Wischniewski ist ein erfahrener Ultraläufer und blickt im Buch wiederholt zurück auf Rennen aus seiner Vergangenheit, 100 km, UTMB, seinen ersten Marathon. Er richtet den Blick zudem immer wieder auf sein Leben insgesamt, widmet einzelne Kapitel seinem Großvater, seiner Mutter, seinem Vater. Die Schilderungen der Etappen sind knapp, was zum Teil wohl auch darin begründet liegt, dass der Weg nach Istanbul laut und verkehrsreich ist. Gerade in Kroatien und Serbien läuft Wischniewski fast ausschließlich auf stark befahrene Straßen und fürchtet mehr als nur einmal um sein Leben.
Hitze und die Anstrengung zermürben ihn, er ist reizbar und irgendwann eskaliert die Situation zwischen seinem Vater und ihm. Er beschließt, ihn nach Hause zu schicken, entscheidet sich aber nach einer Aussprache im Hotel dagegen. Schließlich muss der Autor von seinem Ziel, dass er in einem Anflug aus Größenwahn gewählt hat, aber auch, weil es für uns Deutsche das ideale Ziel ist, weil die Türkei uns näher ist als jedes andere Land, abweichen. Die politische Lage in der Türkei bewegt Wischniewski dazu, von seinem Ziel abzulassen. Seine Reise beendet er am Grenzzaun zwischen Bulgarien und der Türkei. Dort fällt er seinem vor Stolz weinendem Vater in die Arme.
Die ganze Zeit wird der Autor von einem Filmteam begleitet, dass die Spannungen zwischen Vater und Sohn einfängt, die Wischniewski bei seiner täglichen Routine begleitet und in einem eindrucksvollen Video festhält.
Lieblingssätze: „Es gibt zehn Kilometer, die man von zu Hause weg ganz lässig runterrennt, an einem Sonntagmorgen, und dann nach 45 Minuten frisch und weitgehend unbeeindruckt wieder daheim ankommt. Und es gibt ebensolche zehn Kilometer wie diese, in dieser Nacht, die nie aufhören, die man sich in seiner Verzweiflung einteilt und in 50-Meter-Intervallen abwechselnd geht und läuft und geht und läuft.“
„Laufen ist meine Liebe. Ich glaube, dass sie mir ein Leben lang bleiben wird.“
„Ich kann beim Laufen ungeniert denken, belanglose Ideen einfach zulassen oder Gedanken spinnen, die im statischen Zustand nie und nimmer solch eine Entfaltung erfahren könnten.“
Bis an die Grenzen des Seins
Autor: Markus Torgeby Typ: Biografie
Handlung: Ein oft geäußertes Vorurteil gegen Läufer? Der läuft doch nur vor etwas davon. Bei Markus Torgeby trifft das auf jeden Fall zu. Mit 20 Jahren flüchtet sich das Lauftalent in die Wälder Schwedens. Der Druck, den er sich selbst macht und seine Trainer von aussen auferlegen, lässt ihn in Rennen versagen. Dazu kommt die schwere Krankheit seiner Mutter, die an Multipler Sklerose leidet. Torgeby bricht aus und verschwindet für vier Jahre in den Wäldern.
In der selbstgewählten Isolation beschränkt sich Torgeby aufs Laufen und Überleben. Der Stil des Buches ähnelt einem Tagebuch mit teils banalen Einträgen. Die Sätze sind kurz und prägnant. Je mehr ich von dem Buch las, desto mehr hatte ich den Eindruck, dass Torgeby zu Extremen neigt, ihm das richtige Maß fehlt. Er neigt zum Übertreiben. Nicht bei der Schilderung des Erlebten, sondern in seinem Tun.
Laufen und die Jahre im Wald, helfen Torgeby nach eigener Aussage seinen Weg zu finden. Er findet zurück ins Leben und den Spaß am Laufen wieder.
Lieblingssätze: „Je weiter ich laufe, desto stärker fühle ich mich.“
„Laufen ist die Bewegung eines freien Menschen. Man benötigt dafür keine besonderen Räumlichkeiten oder Geräte. Man muss nur seine Schuhe anziehen und loslaufen. Das Blut zirkulieren lassen. Dann wird alles viel klarer.“
Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede
Autor: Haruki Murakami Typ: Biografie
Handlung: Sicherlich eines der bekanntesten Bücher über das Laufen, weithin positiv aufgenommen. Murakami ist ein bekannter und einflussreicher japanischer Schriftsteller. In „Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede“ legt er die Beweggründe dar, die ihn zum Laufen gebracht haben und aus denen er die Motivation zieht, auch im fortgeschrittenen Alter nicht mit dem Laufen aufzuhören. Triebfedern sind für ihn die körperliche Leistungsfähigkeit und das Streben, seine eigenen Rekorde immer wieder zu verbessern, bis er feststellt, dass sein Alter ihm es nicht mehr erlaubt, Verbesserungen zu erzielen. Es ist für ihn ein sehr persönliches Buch, in dem er den Blick stark auf sich selbst richtet. Murakami bezeichnet diesen Blick auf sich selbst als unangenehm doch „hätte ich nicht ehrlich gesagt, was gesagt werden sollte, hätte es keinen Sinn gehabt, dieses Buch überhaupt zu schreiben.“
Über das Laufen zu schreiben, bedeutet für ihn auch, über seinen Charakter zu schreiben. Laufen und das Leben lassen sich nicht trennen. Wie er seine sportlichen Herausforderungen angeht, geht er auch Aufgaben in seinem Leben an. Schreiben und und seine sportliche Leidenschaft sind untrennbar verbunden, sein Beruf als Schriftsteller ohne das Laufen nicht denkbar. Murakami lässt seine bedeutendsten Läufe noch einmal aufleben und nimmt den Leser mit auf jeden davon. Sein eindrucksvollster Lauf von vielen ist für mich der 100-km-Lauf um den Saroma-See in Japan, bei dem er sich beharrlich gegen das Gehen wehrt: „Zumindest ist er nicht gegangen.“ – ein Zusatz, der einst auf seinem Grabstein stehen soll.
Persönlich habe ich mich in den Gedanken des Autors mehr als einmal wiederfinden können und mich mit seinen Einstellungen identifizieren können. Andererseits ist das Buch manchmal auch etwas langatmig, ein langer innerer Monolog eines Autors, den ich vorher nicht kannte. Das Buch hat zwangsläufig biografische Züge und schlägt mehr als einmal den Bogen zu Murakamis schriftstellerischen Tätigkeit. Das lässt sich nicht vermeiden, gerade auch weil Laufen und Schreiben für den Autor so eng verbunden sind. Sieht man von einigen Längen ab, birgt das Buch eine Vielzahl wunderbarer Gedanken über das Laufen.
Lieblingssätze: „Schmerz ist unvermeidlich, Leiden ist eine Option.„
„Für die meisten Läufer geht es nicht um die Frage, ob sie eine bestimmte Person besiegen. […] Die meisten durchschnittlichen Läufer werden von einem persönlichen Ziel angetrieben: Sie möchten eine bestimmte Zeit laufen. Wenn sie es schaffen, haben sie ihre persönliche Messlatte erreicht, wenn nicht, dann eben nicht.“
„Häufig werde ich gefragt, was ich beim Laufen denke. […] Wenn ich laufe, laufe ich einfach. Normalerweise in einer Leere. Oder vielleicht sollte ich es lieber umgekehrt ausdrücken: Ich laufe, um Leere zu erlangen.„
Laufen
Autor: Jean Echenoz Typ: Biografie
Handlung: Hinter dem unscheinbaren Titel des Buches steckt die Biografie der tschechischen Lauflegende Emil Zátopek, für drei Dinge bekannt: Seinen sagenhaft schlechten Laufstil, der ihm den Beinamen „Lokomotive“ einbrachte, seine selbstzerstörerischen Trainingseinheiten und seinen Dreifachtriumph bei den Olympischen Spielen in Helsinki 1952. Innerhalb weniger Tage gewann der Tscheche Gold über 5.000 m, 10.000 m und im Marathon, den er bei den Spielen in Helsinki erstmals lief.
Echenoz beschreibt diese Ereignisse mit großer Beiläufigkeit, die dem Buch bisweilen einen ironischen Unterton verleihen: „Und dann, wo er schon mal dabei ist, wo er am Ende Dritter ist, wie er es wollte, und nur noch zwei Rücken vor sich sieht, was ihn immer ein bisschen nervt, schiebt er noch ein wenig Elan nach, den er sich aufgespart hatte, er überholt sie und er gewinnt: Goldmedaille.“ Kurz und knapp, auch wenn es um Ausnahmeleistungen geht: „[…] Dann stellt Emil Schlag auf Schlag, wie aus dem Nichts aufgetaucht, zwei neue Weltrekorde auf: einen über zwanzig Kilometer und einen über eine Stunde.“ Aus dem Innenleben von Zátopek hält sich der Autor zumeist heraus. Er schildert mit Abstand und lässt auch die politischen Ereignisse dieser Zeit nur am Rande in das Buch einfließen, der Fokus liegt auf der sportlichen Karriere des Tschechen.
Obwohl der Stil des Autors leicht ist, sich gut lesen lässt und man das ganze Zeit ein leichtes Lächeln auf dem Lippen hat, wünscht man sich immer mal wieder etwas mehr Ernsthaftigkeit. Man kann den Ton des Ironischen nie so ganz abschütteln. Das ist schade, denn Zátopek ist mit Sicherheit eine der Ikonen des Laufens überhaupt und seine Leistungen sind noch heute ausnahmslos.
Lieblingssätze: „Er läuft weiter, ein zappelnder Hampelmann, gebrochener Lauf, auseinanderfallender Körper, bestürzter Blick, wie von seinem Nervensystem im Stich gelassen. Emil hält das bis ins Stadion durch, erreicht dann aber abgeschlagen als Sechster die Zielgerade, bricht dort in die Knie, lässt den Kopf auf das gelbe Gras kippen und verharrt so lange Minuten, während derer er weint und sich erbricht, und es ist vorbei, alles ist vorbei.“
Die Promilleverlagerung – Mein Marathon zurück ins Leben
Autor: Johann Maria Lendner Typ: Biografie
Handlung: Lendner ist ein extremer Typ, der nach einem tragischen Verlust seiner großen Liebe dem Alkohol verfällt und sich exzessiv saufend in der Münchener Trinkerszene versinkt. Er landet mehrfach im Krankenhaus, macht erfolglose Entziehungen und versucht immer wieder vergeblich, der Sucht zu entfliehen. Ironischerweise wird er in einer Phase, in der er nicht trinkt, als Fußgägner in einen Unfall verwickelt, an dessen Folgen er sein Leben lang leiden wird. Erst durch das bzw. mit dem Laufen schafft es Lendner dann, die Sucht endgültig hinter sich zu lassen. Er läuft ihr sozusagen davon. Er zieht aus den schnell eintretenden Erfolgen und Verbesserungen Selbstvertrauen und fasst so wieder Fuß im Leben. Bisweilen hat man den Eindruck, dass er dem Laufen so exzessiv verfällt wie zuvor dem Trinken, er eine Sucht gegen eine neue eintauscht.
Es ist eine unbestritten bewundernswerte Lebensgeschichte, die Lendner in seinem Buch minutiös darlegt. Für mich allerdings zu detailversessen, mit viel zu vielen Längen. Zu viel Inhalt nehmen Themen abseits des Laufens ein, schweift das Buch hier- und dorthin. Für eine Biografie eines Menschen, von dem ich zuvor noch nie gehört habe, war das für meinen Geschmack einfach zu viel. Und ein zweiter Punkt stieß mir beim Lesen sauer auf. Lendners Schilderungen seiner sportlichen Erfolge fehlt aus meiner Sicht ein gewisser Humor oder Abstand.
Seine Leistungen sind beeindruckend, keine Frage. Aber ich konnte mich als Leser nicht gegen eine gewisse Missgunst wehren, die in mir hochkam. Wo man als Leser normalerweise unbewusst Partei für den Protagonisten ergreift, trat bei mir der gegenteilige Effekt ein. Ich fühlte eine gewisse Distanz und Ablehnung. Das ist mir noch nie passiert, aber ich musste feststelle, dass ich mich wegen der Art der Schilderung nicht auf die Seite des Autors schlagen konnte.
Je weiter das Buch voranschreitet, desto verbissener kämpft Lendner um die Teilnahme an den paralympischen Spielen, die ihm letztlich verwehrt wird. Ungerechtfertigt, wie der Autor nicht müde wird zu betonen. Es ist geradezu ein Plädoyer für seine eigene Teilnahme und eine Abstrafung für den Funktionär, dessen Entscheidung Lendner die Nicht-Teilnahme letztlich verdankt. Als Leser kann man nicht objektiv einschätzen, ob eine Teilnahme gerechtfertigt gewesen wäre, dafür fehlt die Darstellung der Gegenseite. Lendners Einordnung ist einseitig und lässt keine zwei Meinungen zu: Er wurde betrogen.
14 Minuten – Leben, Tod und Wiederauferstehung einer Lauflegende
Autor: Alberto Salazar und John Brant Typ: Biografie
Handlung: In diesem Buch geht es um den legendären Seriensieger des New York Marathons, Alberto Salazar. Salazar siegte in einer Zeit, in der das Laufen in den USA zu einer Bewegung wurde in drei aufeinanderfolgenden Jahren von 1980 – 1982. Das machte ihn nicht nur zu einer Ikone des New York-Marathons, sondern zum Idol einer Generation von Läufern. Er ist nach wie vor der drittschnellste US-Amerikaner über die 42,195 km und genießt Heldenstatus. Legendär ist aber vor allem sein Sieg beim Boston-Marathon 1982, bei dem er seinen Landsmann Dick Beardsley mit einem Schlussspurt um zwei Sekunden schlug, ehe er völlig dehydriert im Ziel zusammenbrach. Ohnehin ist Salazar ein Grenzgänger, wie man aus dem Buch erfährt.
Er ist nicht mit Talent gesegnet, kompensiert dies aber mit hohem Trainingseinsatz. Irgendwann fordert das Pensum, welches er seinem Körper abverlangt, jedoch seinen Tribut. Salazar wird immer wieder von Verletzungen gebremst und zurückgeworfen. Ihm gelingt es nicht mehr, an seine Spitzenleistungen aus den frühen 80er-Jahren anzuknüpfen. Nach 1982 gewann er nie wieder einen Marathon. Dafür gelingt ihm 1994 ein fulminantes Comeback. Bei seiner ersten Teilnahme am Comrades Marathon in Südafrika gelingt ihm der Coup und er gewinnt das Rennen über die 90 km.
Aufhänger des Buches sind aber nicht unbedingt die sportlichen Meriten, mit denen Salazar sich unbestritten schmücken kann. Mit 49 Jahren erleidet Salazar einen Herzstillstand, der 14 Minuten andauert. Ein Zeitspanne, die normalerweise den sicheren Tod bedeutet. Salazar überlebt wie durch ein Wunder und findet zu Gott. Es ist allerdings nicht seine erste Begegnung mit dem Tod: Schon 1977 erleidet er als junger Läufer einen so schweren Hitzschlag, dass die Sanitäter ihn abschreiben, ein Priester erteilt ihm sogar die Sterbesakramente. Salazar überlebt und zieht daraus Kraft für seine Wettkämpfe. Er hält sich für härter als alle anderen und geht mit einer gewissen Hybris an seine ersten Rennen, die er – zunächst belächelt – mit Ansage gewinnt.
Salazars Lebensgeschichte ist eng verknüpft mit dem Sportartikelgiganten Nike, für den er früh tätig war. Als 2017 im Zuge von Dopingermittlungen das berühmt-berüchtigte Nike Oregon Project Projekt beendet wurde, wurde auch Salazar – Cheftrainer des Projektes – für vier Jahre gesperrt. Vorwürfen, leistungssteigernde Substanzen eingenommen zu haben, musste sich Salazar schon zu seiner aktiven Karriere erwehren, nachweisen konnte man ihm nichts. Darauf weist er auch in seiner Biografie hin.
Lieblingssätze: „Ich bin der Meinung, jeder Läufer betet auf die ein oder andere Art und Weise während des Laufens. […] Der bloße Akt des Laufens, also das Schwitzen, der Rhythmus der Bewegung un der Tanz der eigenen Schritte stellt eine Verbindung zu einer höheren Macht oder etwas Transzendentalem her.“