Wettkampfberichte

Ein Familienausflug der sportlichen Art – 11. Dammer Eldelauf

„Paaapaaaa!“ höre ich von links der Strecke. Das ist besser als EPO, verleiht meinem Schritt Flügel und zaubert mir ein Lächeln auf das Gesicht. Ich bin zwar zu schnell, um sie zu sehen, weiß aber selbstverständlich, das müssen meine Kinder sein. Ich winke in ihre Richtung, dann bin ich über die Ziellinie: Zweiter! Ich warte kurz auf die nach mir folgenden Läufer, um mit ihnen abzuklatschen, beglückwünsche den Ersten zu seinem ungefährdeten Sieg, dann bestürmen mich schon meine Kinder und sind mindestens so freudig-aufgeregt wie ich.

Nur Kind Nr. 3 ist nicht ganz zufrieden. Sie hätten meinen Namen falsch gesagt, das wäre doch voll gemein! So schlimm finde ich das nicht, bin aber auch schon geschlagene 35 Jahre länger auf der Welt als er und habe mich daran gewöhnt, dass man meinen (und damit auch seinen) Namen gerne mal zu Jeschke macht. Sekunden zuvor hatte man mich als Karsten Jeschke von den Jeschke Runners angekündigt. Es war eine spontane Idee meiner laufenden Partnerin gewesen hier als Jesche Runners zu firmieren, weil wir uns erstmals mit fünf Familienmitgliedern zu einem Volkslauf gemeldet hatten – mit durchschlagendem Erfolg. Aber der Reihe nach.

Startnummer? Startnummer!

Weil ich wegen des vorangegangen Kinderlaufs mit Familienbeteiligung nicht mehr viel Zeit habe, fällt das Warmlaufen ziemlich kurz aus, ist aber wegen der überraschend niedrigen Temperatur von 5 °C dringend notwendig. Beim Weg zur Startlinie beobachte ich die anderen Läufer. Darunter ist eine lustige Truppe, die sich gerade vor einem Fotografen postiert. Ein Läufer kommt mir entgegen und mein Blick fällt auf seine Startnummer. Startnummer? Da war doch was! Verflixt und zugenäht – die habe ich gar nicht angepinnt, ich Depp. Da es maximal noch drei oder vier Minuten sind, ehe das Rennen über die 5 km beim 11. Dammer Eldelauf gestartet wird, sprinte ich quer über das Veranstaltungsgelände, um meine Nummer zu holen. In aller Hast fummele ich mit von der Kälte und Nervosität tauben Fingern ein paar Sicherheitsnadeln aus dem Gepäck und befestige sie an zwei Ecken an meiner Weste, für mehr reicht die Zeit nicht. Der kleine Sprint schadet nicht, auf die Hektik hätte ich gut und gerne verzichten können.

Ich mogle mich noch schnell durch die Reihen der Läufer. Der 5-km-Lauf ist das größte Starterfeld der gesamten Veranstaltung, die mit über 1.000 Teilnehmern größer ist, als ich es erwartet hätte. Allein in meinem Lauf werden 412 Läuferinnen und Läufer ins Ziel gehen. Es gibt eine Netto-Zeitmessung, weshalb es nicht so wild ist, dass ich nicht aus der ersten Reihe starte. Durch das Studium der Vorjahresergebnisse weiß ich, dass ich vorne mitlaufen kann. Wie viel wirklich geht, weiß ich nicht. Schließlich habe ich im Rahmen meiner Marathonvorbereitung keine 24 Stunden vorher noch einen 35 km-Lauf mit 12 km Endbeschleunigung absolviert und bin noch nie einen 5-km-Wettkampf gelaufen. Ich habe mich für die kürzeste Distanz gemeldet, weil nach dem Berliner Halbmarathon vor einer Woche ein weiterer längerer Wettkampf nicht in mein Trainingskonzept passt.

Ab geht die Post

Auf den ersten 200 Metern überhole ich eine ganze Reihe von Läufern und Läuferinnen. Ich höre, wie eine Läuferin ihrem Begleiter zuruft, dass er viel zu schnell läuft für sie. Mit Blick auf die Davoneilenden schiebt sie ein verwundertes: „Laufen die das ganze Rennen so schnell?“ hinterher. Am Ende der Start- und Zielgeraden geht es in einem 90°-Winkel in Richtung des Flüsschens Elde. Ich werde davon überrascht, dass die Straße unvermittelt ansteigt. Mir fällt auf, dass ich mir den Streckenverlauf gar nicht angesehen habe. Top Vorbereitung heute! Gut, dass es Schilder gibt und ein Fahrrad vorausfährt, das den Weg weist. Es ist nur eine Brücke, die ich mit den anderen Läufern überqueren muss. Auf dem Anstieg bleibt der erste Läufer mit in die Seite gestemmten Armen keuchend stehen. Mein Puls peitscht ebenfalls.

Nach der Brücke verflacht das Gelände wieder. Wir wechseln von Asphalt auf Forstweg. Inzwischen hat sich so etwas wie eine fünfköpfige Spitzengruppe gebildet, an deren Ende ich laufe. Ich versuche die Läufer zu taxieren, sie einzuordnen. Wer davon sieht schnell aus? Wen kann ich vielleicht überholen? Das ist natürlich nur Spekulation, wir haben nicht einmal einen Kilometer hinter uns und ich kaum meinen Rhythmus gefunden. Der momentane Anstieg des Pulses an der Brücke ist wieder abgeklungen auf ein Maß, bei dem ich gut laufen kann. Der erste Kilometer: 3:43 min/km. Das werde ich eher nicht durchhalten. Weil die Strecke aber nun wieder über einen geteerten Forstweg verläuft und dazu noch leicht abschüssig ist, finde ich ein gutes Tempo, das mich an allen vor mir liegenden Läufern vorbei trägt. Nur der Führende bleibt unerreichbar. Die Lücke, die zwischen mir und ihm klafft, ist jetzt schon beträchtlich und wenn er nicht viel zu schnell angegangen ist, werde ich ihn nicht mehr einholen. Das ist jetzt schon klar.

Das komische Gefühl, verfolgt zu werden

Es ist ein komisches Gefühl, auf eine Platzierung zu laufen. Normalerweise bin ich nicht so schnell, als das ich um die ersten drei Plätze konkurrieren könnte. Sonst laufe ich gegen mich und die Zeit. Hier und heute ist es anders. Ich habe Blut geleckt und möchte meinen zweiten Platz nicht verlieren. Der hinter mir liegende Läufer konnte meinem Tempo nicht folgen und ich habe einen kleinen Vorsprung herausgelaufen. Nicht so beruhigend, dass ich mich ausruhen könnte, aber ich spüre auch nicht direkt den Atem des Verfolgers im Nacken. Da ich mich nicht umdrehen möchte, muss ich den Abstand erspüren. Am ehesten kann ich hören, wie groß die Distanz ist. Je näher mir der Verfolger kommt, desto deutlicher kann ich seine Schritte, sein Ächzen und Stöhnen hören. Und andersherum.

Der Asphalt ist Treckerfurchen gewichen. Links und rechts eine Reifenspur, in der Mitte eine Grasnarbe. Der Sand in den Reifenspuren ist locker, aber er lässt sich gut laufen. Das, was es mich an zusätzlicher Kraft kostet, kostet es die anderen auch, sage ich mir. Und ich bin ein einigermaßen leichter Läufer, das hilft sicherlich auch. Und tatsächlich kommt niemand näher. Ich passiere Kilometer 2 und 3. Hier erinnert mich ein an einen Baum genagelter Smiley, dass es noch 2 km bis zum Ziel sind. Ist gewöhnungsbedürftig, dass das Rennen so schnell rum ist, aber ich bin auch froh, wenn ich an das Ziel denke. Dann muss ich das Brennen in den Muskeln nicht so lange aushalten.

Noch immer sehe ich den Führenden und das Fahrrad, das ihn begleitet. Doch die Entfernung zwischen ihm und mir wird nicht kleiner. Im Gegenteil: Ich verliere etwas an Boden. Kurz vor der 4-km-Marke ist ein Verpflegungsstand. Dankend lehne ich die angebotene Erfrischung ab und biege auf den Uferweg an der Elde ein. Hinter mir höre ich eine Helferin jauchzen. Sie heißt den nachfolgenden Läufer willkommen. Das versetzt mir einen Schreck: Der muss verdammt nah hinter mir sein. Oder sie hat ihm einfach nur früh zugejubelt.

Wo geht’s zum Ziel?

Einen halben Kilometer voraus wartet noch einmal ein kurzer Anstieg hinauf zur Brücke. Weil der Uferweg jetzt rechts von mir liegt, kann ich ohne Schulterblick sehen, dass ich einen einigermaßen komfortablen Vorsprung vor den nach mir folgenden Läufern habe. Die Gefahr lauert woanders: Kaum auf der Brücke angekommen, kommt mir eine Horde Walker entgegen. Der Start des Walkingwettbewerbs und unser Zieleinlauf überschneiden sich. Mit Warnrufen versuche ich mich den teils auf den Boden blickenden Walkern anzukündigen. Ganz rechts laufend weiche ich der Masse aus und biege aufs Geratewohl rechts in die Straße ein, auf der wir auch gestartet sind. Ob das richtig ist, weiß ich nicht, denn in dem Tohuwabohu war von Schildern oder Streckenposten gerade nichts zu sehen. Die Rechtskurve führt um eine Hausecke und ich habe kurz Angst, in einen der Walker zu krachen oder eben auf dem falschen Weg zu sein. Doch beides ist unbegründet. Ich befinde mich auf der offiziellen Strecke und eine Karambolage bleibt aus. Vor mir kann ich nun das Ziel sehen.

Als mich die Trommlergruppe im Zielbereich kommen sieht, empfängt sie mich mit einem Trommelwirbel. In diesem Augenblick bin ich mir sicher, dass ich ungefährdet ins Ziel komme und beginne zu jubeln. Dann höre ich meine Kinder rufen und bringe die letzten Meter im Vollsprint hinter mich. Ich bin Zweiter und darf mich noch über eine Premiere der besonderen Art freuen: Gleichzeitig mit dem 2. Gesamtplatz erringe ich meinen ersten Altersklassensieg. Ich habe mich selbst überrascht mit diesem Ergebnis und bin völlig baff. Den 80 Wochenkilometern und den Berliner Halbmarathon in den Beinen zum Trotz! Aber natürlich habe ich auch davon profitiert, dass die Zeiten in diesem Jahr nicht ganz so schnell waren wie im Vorjahr.

Eine gelungene Premiere: Die Jesche Runners

Es ist indes nicht der erste AK-Sieg an diesem Tag, den wir feiern dürfen. Auch eines meiner Kinder wird – wie wir später beim Belohnungs-Crêpes erfahren – die Ehre zu Teil, den Sieg in seiner Altersklasse davongetragen zu haben. Zwei zweite und ein elfter Rang runden den sportlich erfolgreichen Familienausflug und die Premiere der Jesche Runners ab! In diesem Moment der Freude dämmert mir, dass wir um eine erneute Teilnahme im nächsten Jahr kaum herumkommen werden. Aber warum auch nicht? Das Drumherum und die hervorragenden Organisation haben uns positiv überrascht und die guten Ergebnisse ihr Übriges dazu beigetragen, dass wir gerne wiederkommen werden. Wenn dann noch das Wetter mitspielt… und vielleicht klappt es dann auch mit dem Namen!

Der Lauf im Überblick

Distanz5,0 km
Zeit22:33 Min. / 3:53 min/km
Platzierung2. von 412 Teilnehmern
AK-Platzierung2. von 194
StreckeMan beginnt auf Straßen und wechselt dann schnell auf Wald- und Forstwege.
Der Weg ist ausgeschildert und Kilometerschilder zeigen, wie weit man schon gelaufen ist.
Besonderheiten

6 Comments on “Ein Familienausflug der sportlichen Art – 11. Dammer Eldelauf

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