Wettkampfberichte

Berlin…du bist so wunderbar!? Berliner Halbmarathon 2019

Als ich mit Nils etwas abseits zwischen den Möbeltransportern mit den Kleiderbeuteln sitze, bin ich vollauf zufrieden. Schon allein, dass ich mitlaufen konnte, ist eine tolle Sache. Zufrieden macht mich auch der Kampf, den ich mir mit mir selbst geliefert habe. Es ist immer wieder ein gutes Gefühl, nach einem Rennen im Ziel zu sein und zu wissen – du hast es geschafft. Hast alles mobilisiert, hast dich durchgekämpft, hast vielleicht den Lauf deines Lebens gehabt, vielleicht auch den härtesten. Es ist nicht das Ergebnis, das dieses Gefühl erzeugt, sondern einfach das Erlebnis des Laufs selbst. Mit all seinen Höhen und Tiefen, den vielen kleinen Geschichten, den Anekdoten. Jeder Lauf ist ein kleiner Kosmos an Eindrücken, etwas Bleibendes, ein kleines Stück gemeinsame Geschichte. Gerade dann, wenn man ihn mit anderen teilt.

Für mich hat es heute nicht gereicht zu einer Bestzeit, aber das war auch nicht zwingend das Ziel, das ich verfolgt habe, es wäre sogar vermessen gewesen, es anzunehmen, bei dem Trainingspensum der letzten vier Wochen. Versucht habe ich es trotzdem. Es sollte ein gelungener Formtest werden für den in vier Wochen steigenden Gutenberg Marathon. Und mit Fug und Recht kann ich sagen, dass ich den bestanden habe. Und über eine kleine Bestzeit konnte ich mich dann doch noch freuen, auch wenn sie nur inoffiziell ist.

Start mit Blick auf die Siegessäule

Gut hatte es Samstagmorgen beim letzten kurzen Regenerationslauf noch nicht ausgesehen für den Lauf heute. Halsschmerzen und hartnäckig festsitzender Husten hatten mir zu schaffen gemacht, schon seit ein paar Tagen. Dazu war auch noch der jüngste Spross der Familie erkrankt. Schlechtes Timing. Verschwunden waren die Symptome zwar noch nicht, aber bei mir so weit abgeklungen, dass sie mich aktuell kaum beeinträchtigten und bei Kind Nr. 4 so weit, dass Oma nichts dagegen hatte, ihn zu betüddeln, während Mama und Papa sich verschwitzt in den Straßen Berlins herumtrieben. Babylon Berlin, Baby!

Nils und ich haben es gerade rechtzeitig in die Startblöcke geschafft. Block A ist voll, aber nicht überfüllt und während ich mich noch durch den Block schlängele, stellt der Mann am Mikrofon gerade die Elite vor: Philipp Pflieger, Fabienne Amrhein, Anna Hahner, Ironman-Sieger Patrick Lange, Sifan Hassan – nationale und internationale Klasse. Und irgendwo dahinter: ich. Das ist das Schöne am Marathon. Wohl nur hier ist es möglich sich direkt mit den Besten der Besten zu messen.

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Ich bin ziemlich nervös. Wie immer eigentlich. Da kannste noch so viele Läufe gemacht haben, das wird nicht besser. Ich wanke von einer Seite zur anderen in einer Art Schaukelbewegung. Lockermachen, mitgrooven. Dann der Knall und los geht’s. Gut 21 km liegen vor mir und den übrigen knapp 30.000 Läufern, die am Ende ins Ziel kommen werden. Eine irre Zahl! Auch ohne die rund 7.000 Athleten, die gar nicht erst an den Start gegangen sind.

Startgetümmel - Berliner Halbmarathon 2019
Startgetümmel – Berliner Halbmarathon 2019

Ein furioser Start

Es geht erstaunlich flott los, da die Strecke extrem breit ist hier auf der Straße des 17. Juni und weil ich im Block der besten Amateure starte. Es sind so viele flotte Läufer um mich herum, dass es es ohne die üblichen Startprobleme auf den ersten Kilometern losgeht. Weiter hinten im Feld – so erfahre ich später – kann davon keine Rede sein. Da ist es, wie auf der gesamten Strecke eher ein Hauen und Stechen, ein Slalomlauf, der Kraft, Zeit und Nerven kostet. Ein zweifelhaftes Vergnügen.

Es geht auf dem ersten Kilometer direkt in den Kreisel an der Siegessäule, danach weiter geradeaus. Die ersten drei Kilometer überrasche ich mich selbst. Ich laufe konstant unter vier Minuten im Schnitt und es fühlt sich leicht und locker an. Was ist bloß los mit mir? Wenn das so weitergeht, dann haue ich heute einen raus, denke ich. Ich träume ein bisschen, besinne mich dann aber, dass es noch ein weiter Weg ist bis ins Ziel. Besonders deshalb, weil es warm ist. Nur mit Singlet und Shorts bekleidet heizt mir die Sonne trotzdem ziemlich ein. Ach ja, Sonnencreme wäre jetzt gut.

Kurz nach dem Start an der Siegessäule - Berliner Halbmarathon 2019
Kurz nach dem Start an der Siegessäule – Berliner Halbmarathon 2019

Vernünftigerweise greife ich mir am ersten Verpflegungsstand einen Becher Wasser und schaffe es, genau einen Schluck davon zu trinken, der Rest schwappt überall hin, was immerhin Kühlung bedeutet. Morgens hatte ich mich noch gegen eine kleine Flasche entschieden, die ich mitnehme. Wenn das mal so klug war. Aber ich trage gerade eh schon mein iPhone in der Hand. Wirkt ziemlich dämlich, aber in der Tasche des Startnummerngürtels schlackerte es beim kurze Warmlaufen so stark herum, dass ich mir nicht vorstellen konnte, 21 km damit zu laufen, ohne Wahnsinnig zu werden.

Der erste Lack ist ab

3:54, 3:55, 3:56 min/km – na, wer erkennt den Trend? Die ersten drei Kilometer laufe ich mit einer Mühelosigkeit unter vier Minuten pro Kilometer, die ich selbst nicht einordnen kann. Wer mich kennt, der weiß, dass spätestens ab dieser Grenze der rote Bereich betreten wird. Ehe ich mich noch weiteren Bestzeitfantasien hingebe, überlege ich, wie ich mir das Rennen weiter einteile. Es gibt keine Zug- und Bremsläufer, es ist also niemand da, der den Takt vorgibt. Und das Rennen ist noch zu jung, als dass ich die Läufer in unmittelbarer Umgebung hinsichtlich ihrer Zielzeit einschätzen könnte. Ich laufe zwangsläufig nach Gefühl und peile als nächstes Zwischenziel Kilometer sieben an. Bis dahin, will ich mir den Blick auf die Uhr verkneifen. Ich kenne mich und weiß, das mich das total wuschig machen kann.

An der Strecke sind immer wieder Grüppchen von Zuschauern, sogar eine Band spielt. Das ist ok, denke ich, aber nach den überschwänglichen Schilderungen hatte ich mir mehr versprochen, was das Spektakel angeht. Aber wer weiß, was noch kommt. Seit einem Rechtsknick laufen wir Richtung Charlottenburg. Stellenweise geht es ganz leicht bergauf. Mir fällt auf, dass meine Uhr schon immer ein Stück vor den Kilometermarken zu piepen beginnt, die Diskrepanz aber abzunehmen scheint. Überhaupt piept es alle paar Minuten um mich herum wie wild. Praktisch jeder bekommt das Signal für einen gelaufenen Kilometer. Bei einem Läufer links von mir hingegen piept es beständig. Für den Puls zu langsam, aber was genau das rhythmische Piepen bedeuten soll, ist mir schleierhaft.

Ganz so leicht fallen mir die Kilometer nicht mehr, das merke ich. Wo aber hätte das auch herkommen sollen? Ich laufe ja nicht über Nacht einen Halbmarathon durchgängig in einer 3:xx-Pace! Trotzdem fühle ich mich noch gut, schnell und stark.

Eigentlich viel zu schnell

Am Schloss Charlottenburg biegt die Strecke in einem spitzen Winkel links ab. Darauf habe ich gewartet. Nicht etwa wegen der Sehenswürdigkeit, die ich komplett verpenne und an die ich mich aus dem Studium des Streckenverlaufs nicht mal erinnere. Sondern weil ich mich erinnere, dass wir nach der Linkskurve bald auf den Ku’damm kommen, den geht’s dann einfach nur noch runter, zweimal links und schon sind wir da! Easy!

Irgendwo müsste hier noch ein Park (Lietzenseepark) kommen, mit einem kleinen Teich oder so. Sah zumindest auf der Karte so aus. Zuerst kommt aber die erste Zwischenzeit, die offiziell gemessen wird. Ich passiere die 5-km-Marke bei 20:irgendwas. Ich muss kurz grübeln, dann geht mir auf, dass das die Zeit ist, die seit dem Startschuss vergangen ist. Zieht man die Zeit ab, die verstrichen ist, bis ich tatsächlich über die Startlinie gelaufen bin, dann muss ich doch unter 20 Minuten sein. Das hieße, ich bin fast so schnell wie bei meinen beiden jüngsten 10-km-Läufen.

Yesss! Oder eigentlich: No! Natürlich fühlt sich das gut an. Aber genau genommen bin ich zu schnell, das weiß ich. Aber habe ich es je anders gemacht, so wie man es machen soll? Eher nicht. Auch wenn ich es besser wissen müsste. Heute hatte mich aber vor allem eines die Flucht nach vorne ergreifen lassen: Meine Bestzeit aus dem letzten Jahr ist für meine Verhältnisse überragend und ich war vor dem Lauf überzeugt, nur ein kleines Wunder würde sie noch weiter verbessern können. Und das wollte ich erzwingen, indem ich mit aller Kraft laufe, mit dem Mute der Verzweiflung, wider Vernunft und Verstand. Vielleicht, so würde ich später feststellen, hätte eine kluge Renneinteilung bedeutend mehr gebracht. Dafür war es jetzt aber schon deutlich zu spät.

Eine inoffizielle Bestzeit

Wir kreuzen durch ein Wohngebiet. Das ist interessant und es scheint leicht bergab zu gehen. Ich wundere mich nur, wie viele Kurven wir nehmen müssen. Ging es nicht halbwegs gerade zum Ku’damm? Von Teich und Park sehe ich auch nichts. Komisch. Durch das Kreuz-und-Quer vergeht die Zeit aber schnell, plötzlich stehe ich schon vor dem 8-km-Schild. Auf die Uhr habe ich seit Kilometer drei nicht mehr gesehen, weil sich das Läuferfeld um mich herum nicht wesentlich verändert, gehe ich aber davon aus, dass sich an meiner Pace nichts geändert hat.

Dann sind wir wirklich auf dem Ku’damm. Natürlich beginnt der Rückweg noch nicht, aber ich peile die 10-km-Zwischenzeit an. Ich rechne jetzt fest damit, erstmals im Leben unter 40 Minuten zu sein. Das gibt mir Rückenwind und trotzdem ist es total bekloppt von mir. Kurz vor dem Schild spüre ich die Vibration meiner Uhr und ich gönne mir einen Blick. Der letzte Kilometer: 4:06 min/km, dann springt die Anzeige wieder um und zeigt 40 Minuten und ein paar Sekunden. Hm, das könnte knapp gewesen sein. Aber schneller als bei meiner Bestzeit im Halbmarathon bin ich, wenn auch nur um Sekunden. Später ist die offizielle Zeit 40:04 min, die meiner Uhr 39:53 min. Das liegt daran, dass ich bereits ein paar Extrameter gesammelt habe.

Es gibt Wasser aus den neuen, wiederverwendbaren Wabbelbechern. In vollem Tempo greife ich beherzt zu und das Wasser schwappt fast vollständig heraus. Den Rest kippe ich mir in den Nacken, denn mein Motor läuft heiß. Ganz funktioniert das Konzept mit den Bechern meiner Meinung nach nicht.

Der lange Weg den Ku’damm hinab

Langsam fordert der Lauf seinen Tribut. Nicht nur bei mir. Vereinzelt laufe ich an Läuferinnen und Läufern vorbei, die stehengeblieben sind. Eine Läuferin mit auffälliger Nummer – vielleicht Elite oder Pacerin – steht unvermittelt links am Rand. Dafür wird der Abstand zu einer kleineren Läuferin immer größer, der ich bisher im konstanten Abstand gefolgt bin. Sie hat eine unfassbare Schrittfrequenz. Hier entlang dem Ku’Damm ist es immer wieder mal lauter, mir bleiben aber keine richtigen Hotspots in Erinnerung. Eine Band spielt harte Gitarrenmusik, das merke ich mir. Das KaDeWe bemerke ich nicht einmal, als wir es passieren, weil es auf der anderen Seite der Straße liegt, die Gedächtniskirche nehme ich nur am Rande war.

Ich beginne langsam, die Umgebung nur noch selektiv wahrzunehmen und mich voll auf das Laufen zu konzentrieren. Mein fixes Ziel: 14 km. Dankbar bin ich für den Schatten der Hochhäuser auf der linken Straßenseite. Ist ein gewaltiger Unterschied, ob man in der Sonne läuft oder in den Schatten eintaucht. Heißer war es in diesem Jahr noch nicht als heute. Man könne seinen Urlaub in Berlin getrost nach Halb- und Marathon ausrichten, dann passt das Wetter, hatte der Moderator noch kurz vor dem Start gesagt. Ein paar Grad weniger dürften es für meinen Geschmack ruhig sein.

Ich registriere, dass mich jetzt immer mal wieder Läufer überholen. Es sind nicht viele, aber doch so viele, dass es mir eben auffällt. Scheint, als würde ich langsamer. Das war zu erwarten. Und wenn ich ehrlich bin, habe ich ganz schön zu tun. Ich kämpfe und komme den vor mir Laufenden immer wieder nahe, gehe bisweilen sogar an ihnen vorbei. In mich hinein lachen muss ich, als ich wirklich einen Handbiker überhole. Scherzhaft hatte ich vor dem Start gesagt, dass dies mein Ziel sei: Einen der Handbiker aus dem Startblock vor mir einzuholen.

Die Kilometer werden länger

Eine weitere Linkskurve später führt die Strecke auf den Potsdamer Platz zu. Mir fallen zwei Dinge auf: Es wird ruhiger und die Strecke steigt leicht an. Das genügt mir, ich muss einen Gang runterschalten. Kurz vor dem Potsdamer Platz gibt es Gels. Der Gedanke daran zieht mir den Mund zusammen. Auch ohne die klebrige Masse ist mein Mund schon ausgetrocknet. Eine Läuferin, die mich kurz vorher überholt hat, versucht am Ende des Verpflegungspunktes durch einen kurzen Schlenker noch eine Banane zu grapschen und ich denke, dass das ungefähr das Letzte wäre, was ich jetzt noch runterbekäme.

Am Potsdamer Platz - Berliner Halbmarathon 2019
Am Potsdamer Platz – Berliner Halbmarathon 2019

Kurz darauf kommen wir am Sitz des Bundesrates vorbei. Ich habe nur einen kurzen Blick dafür übrig. Hier wird die 15-km-Zwischenzeit genommen und würde ich noch auf die Uhr blicken, ich würde feststellen, dass der letzte Kilometer mein langsamster bisher ist. Mit Abstand. Weil wir danach durch eine Meute der Adidas Runners laufen, die sich hier aufgebaut haben, um die Läufer nach vorne zu peitschen, reiße ich mich kurz zusammen und feuere die Menge an. Konfetti glitzert auf der Straße und ein Typ, nackt bis auf eine rote Badehose und mit Megafon in der Hand, feuert uns an. Yeah!

15 km geschafft - Berliner Halbmarathon 2019
15 km geschafft – Berliner Halbmarathon 2019

Meine Uhr piept und ich bin überzeugt, 17 km geschafft zu haben. Das war mein letztes Zwischenziel vor dem Ziel am Brandenburger Tor. Weil meine Uhr sich immer noch vor den offiziellen Kilometerschildern meldet, bemerke ich meinen Irrtum erst hinter der nächsten Kurve. 16 km! Verdammt! Sowieso piept meine Uhr immer früher. Oder die Schilder stehen immer weiter auseinander. So zumindest fühlt es sich an!

Checkpoint Charlie

Die nächste Sehenswürdigkeit nehme ich bewusst wahr und auch die Massen an Zuschauern, die hier stehen. Es ist der Checkpoint Charlie. Den habe ich als Tourist noch nie gesehen, geht’s mir durch den Kopf, dann bin ich schon vorbei.

Weil es danach etwas bergab geht, komme ich wieder in Schwung, habe dann aber einen schweren drittletzten Kilometer. Ich laufe so schnell ich kann, aber ich spüre, dass ich langsamer werde. Meine Wangenknochen schmerzen, es fühlt sich an, als hätte ich zu lange gegrinst – das kann für die erste Rennhälfte sogar zutreffen. Dann und wann spüre ich ein Prickeln im Gesicht oder ein leichtes Frösteln. Jetzt, wo Zuschauer mich tragen, schieben und ziehen könnten mit ihrer Anfeuerung, finden sich am Rand nur wenige Schaulustige. Wir kreuzen durch die Innenstadt an den geschlossenen Geschäften vorbei.

Noch immer bin ich der Meinung, wir müssten am Alex vorbei kommen. So habe ich es Erinnerung. Aber die trügt. Die letzten Kilometer ziehen sich und es ist schon ein ordentlicher Kampf, bis ich endlich Unter den Linden ankomme. Jetzt kann ich das Ziel ausmachen. Aber: Das ist noch ein ganzes Stück. Zunächst kommt ein Bogen, dahinter das Brandenburger Tor und schließlich auch der Zielstrich.

Vor dem Adlon-Hotel - Berliner Halbmarathon 2019
Vor dem Adlon-Hotel – Berliner Halbmarathon 2019

Meine Beine fühlen sich an wie Pudding. Oft setzt der Anblick des Ziels bei mir Euphorie frei, die mich über die letzten Meter trägt. Heute nicht. Der Zielstrich wirkt so weit weg, dass es mich demoralisiert. Ich bin wirklich durch und zahle jetzt ganz ordentlich für den furiosen Beginn. Ich kann mir nicht vorstellen, diese Strecke noch zu laufen, das Ziel wirkt so unendlich weit weg. Stehenbleiben ist jetzt aber auch keine Option. Indem ich einfach weiterlaufe, komme ich dem Ziel langsam näher, passiere zuerst den Bogen, dann laufe ich mittig durch das Brandenburger Tor. Trotz der Erschöpfung ein tolles Gefühl.

Durchs Brandenburger Tor ins Ziel

Jetzt, wo ich das Ziel dicht vor Augen habe, recke ich einen Arm mit ausgestrecktem Zeigefinger seitlich in die Luft. Freude und Erleichterung überkommen mich. Auch dann noch, als ich realisiere, dass es für eine Bestzeit nicht gereicht hat. Bis zuletzt hatte ich noch einen Funken Hoffnung, die erst durch die Uhr über dem Ziel zunichte gemacht wird. 1:29 Std. ist gerade vorbei. Selbst bei großzügiger Brutto-Netto-Differenz wird meine offizielle Zeit keine drei Minuten besser sein. Es ist schnurzpiepegal! Ich bin einfach nur glücklich mich durchgebissen zu haben.

Ich laufe ins Ziel und lasse mir meine Medaille überreichen. Den ersten Becher Wasser kippe ich direkt herunter, mir wird ein zweiter aufgedrängt. Ich kippe mir das Wasser zur Kühlung über den Kopf und beuge mich vornüber. Die Tropfen, die auf den Asphalt klatschen hypnotisieren mich irgendwie. Ich merke, dass ich alles rausgehauen habe. Ein anderer Läufer spricht mich besorgt an, ob es mir gutginge. Ja, alles klar. Ich war nur kurz in mich gekehrt. Plötzlich werde ich wieder angesprochen. Nils! Wir umarmen uns, tauschen kurz Zeiten aus und begeben uns mit zwei alkoholfreien Bieren ans hintere Ende des Zielbereichs, wo wir das gute Gefühl genießen.

Eine kleine Nachlese

Ich bin noch immer aufgekratzt von diesen zwei Tagen in Berlin. Der Lauf, das Rennen, das Drumherum – alles groß, riesengroß. Und genau da beginnen auch die Probleme. Als ich gestern die Facebook-Seite vom Generali Berliner Halbmarathon besuchte, wurde ich dort gefragt, ob ich die Veranstaltung empfehlen würde. Ich kann es nicht. Abgestimmt habe ich nicht, denn die Gründe dafür sind zu vielschichtig und lassen sich nicht in einem klaren „Nein“ ausdrücken. Das würde den Veranstaltern nicht gerecht werden.

Bereits die Startnummernausgabe hatte etwas Außergewöhnliches. Die Kulisse: Der alte Zentralflughafen in Tempelhof. Was etwas übertrieben hätte wirken könnte, hatte in Anbetracht der über 37.000 gemeldeten Starter unbedingt Berechtigung. Sicher, es hätte sich auch ein anderer Rahmen finden lassen, aber das hatte definitiv Charme! Die nostalgische-marode Substanz des Flughafens mit seinen alten Schildern bildete einen Rahmen, der seines Gleichen sucht. Nicht nur das: Die Weitläufigkeit des Geländes und die Organisation sorgten dafür, dass sich die Massen problemlos verliefen und keine nennenswerten Wartezeiten entstanden. Das ist schon bemerkenswert.

Marathon-Expo im Flughafen Tempelhof - Berliner Halbmarathon 2019
Marathon-Expo im Flughafen Tempelhof – Berliner Halbmarathon 2019

Gleichsam bemerkenswert ist die Vermarktung der Veranstaltung. Allein die Marathon-Expo war gigantisch. Das galt aber auch für die Preise der Caterer auf der Expo, für Extras und die offizielle Kollektion des Ausrüsters. Ich hatte im Vorfeld mit Blick auf die aufgerufenen Preise auf die Buchung von Extras konsequent verzichtet. 20 € für die Party-Party – in diesem Fall als Pasta-Büffet im Flughafen – sind schon nicht ohne. Aber auch der Veranstalter muss sehen, wo er bleibt. Und was die Ausrichtung einer Veranstaltung dieser Größenordnung kostet, kann man nur erahnen.

Eine gigantische Veranstaltung

59 € Startgeld und ein bis auf Werbung im Prinzip leerer Startbeutel, das ist bei allem Verständnis schon enttäuschend. Zumindest für Poncho und Kleiderbeutel hätte es reichen sollen, statt vor die Wahl gestellt zu werden. Und mehr Verpflegung als eine Banane im Ziel wäre schön gewesen. Sogar Brems- und Zugläufer gab es nicht. Und das bei einer Veranstaltung dieser Größenordnung.

Die Organisation der Großveranstaltung könnte indes besser nicht sein. Allein die Läufer in die richtigen Startblöcke zu lotsen und den Zugang zum Startgebiet zu organisieren, sind bei der Masse an Läufern eine Mammutaufgabe. Die schiere Anzahl der Läufer aber ist auch das Problem. Gerade im hinteren Bereich des Feldes war das Gedränge bei vielen so groß, dass es zu Frust kam. Ein gleichmäßiges Laufen war hier nicht möglich. Im Zielbereich liefen die Athleten praktisch direkt hinter Ziellinie ineinander, weil nicht schnell genug aufgerückt wurde. An die Zielverpflegung zu kommen, war eine echte Geduldsprobe. Nicht auszudenken, wie voll es mit den zusätzlichen 7.000 Startern geworden wäre. Es gab durchaus einige, die deswegen eine erneute Teilnahme für sich ausschließen würden.

So weit würde ich nicht gehen, denn in Sachen Organisation gibt es bei diesem Lauf nichts zu bemängeln. Strecke und Stimmung sind toll, wenngleich ich in dieser Beziehung mehr erwartet hätte. Als Hannoveraner kennt man die Unterstützung der Zuschauer in mindestens gleichwertiger Form. Der Einlauf durch das Brandenburger Tor ist dafür eine einmalige Geschichte und als passionierter Läufer sollte man sich das mindestens einmal in seinem Läuferleben geben.

Der Lauf im Überblick

Distanz21,1 km
Zeit1:27:22 Std.
Platzierung16. von 612 Teilnehmern
AK-Platzierung6. von 50 (M35)
StreckeFür den Halbmarathon galt es den Kurs zwei Mal zu durchlaufen. Die Strecke verläuft entlang der Förde und ist nicht für den Fuß- und Radverkehr gesperrt.
Verlaufen ist unmöglich. Schilder kennzeichnen jeden Kilometer.
BesonderheitenAusgabe der Startunterlagen ist am Kreuzfahrtterminal.
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5 Comments on “Berlin…du bist so wunderbar!? Berliner Halbmarathon 2019

    1. Gegen die Orga kann man absolut nichts sagen. Die war extrem professionell. Aber das Ausmaß der Veranstaltung ist schon gigantisch. Das muss man mögen. Freue mich auf deinen Rennbericht. Berlin steht auch noch auf meiner „Bucket List“.

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