Ganz gemütlich bringen wir unsere Jacken und Startnummern der Kinder, die ihren Lauf bereits hinter sich haben, zum Auto. Eine halbe Stunde bleibt uns noch bis zum Start. Derweil versammelt sich eine große Gruppe Läufer bereits an der Startlinie. Vermutlich der Start des 5-km-Rennens oder vielleicht des Halbmarathons. Aber irgendwie habe ich leichte Zweifel. Ich meine zu sehen, dass die Starter die gleiche farbliche Unterlegung auf ihrer Startnummer haben wie wir. Seltsam. Wahrscheinlich ist das alles korrekt so. Mit einem Ohr höre ich aber den Moderator, der meine Zweifel wachsen lässt. In einer guten halben Stunde würden die ersten der Läufer wieder im Ziel sein. Habe ich das richtig verstanden? In meinem Kopf rattert es. Für einen Halbmarathon wäre das wahrlich zu schnell. Selbst wenn hier heute unerwartet jemand Weltrekordambitionen hegt. Und für einen 5-km-Lauf schlicht zu langsam. Es sei denn, heute sind nur Rennschnecken unterwegs.
Ich bekomme so langsam die Panik. Das Läuferfeld ist bereits gestartet. Sylvie an meiner Seite hat noch mehr Ruhe, sie ist sich sicher, dass wir erst um 10 Uhr starten, fragt aber einen der unbeteiligten Läufer. Dieser bestätigt unseren Verdacht – es ist der Start des 10-km-Rennens, für das auch wir gemeldet sind. Im Sauseschritt eilen wir zur Startlinie, klettern unter der Absperrung durch und reihen uns am Ende des Feldes ein. Gut, dass mein Forerunner das GPS-Signal so schnell findet, so kann ich unverzüglich loslaufen. Warmlaufen muss ich mich ja jetzt nicht mehr. Sylvie hat nicht so viel Glück und muss noch ein bisschen warten, ihre Uhr sucht noch nach einem Signal.
Trotzdem sind auch für mich seit dem Start schon zwei Minuten vergangen und ich starte mit den Walkern. Das ist nicht ideal, will ich doch möglichst schnell laufen. Jetzt muss ich zunächst mal massenhaft Läufer überholen, die langsamer sind als ich. Der Uferweg am Burgsee ist so voll mit Läufern, dass ich zunächst in die Blumenbeete links davon ausweiche, aber da reicht der Platz schon bald nicht mehr, weil die Bepflanzung dichter wird. Hier weiterzulaufen ist nicht nur schlecht für die Pace, sondern Frevel. So weiche ich noch ein bisschen weiter aus und laufe jenseits der Absperrung parallel zur Strecke auf der Straße. Dadurch muss ich nicht drängeln, behindere keine anderen Läufer und schone die Pflanzen.
Als ich die nordwestliche Ecke des Burgsees erreiche, führt der Kurs frontal auf das Schweriner Schloss zu. Die Strecke ist nun nicht mehr so eng und ich laufe Slalom zwischen den langsameren Teilnehmern. Das ermöglicht mir einen Blick auf die Uhr zu werfen und festzustellen, dass ich ziemlich schnell unterwegs bin. Für den ersten Kilometer brauche ich nur 3:53 min. Das Schloss lasse ich schnell hinter mir und bahne mir am Ufer des Schweriner Sees, der für eine Weile zu meiner Linken liegt, den Weg durch das Läuferfeld.
Was die Läufer wohl von mir denken, dass ich wie von Sinnen an ihnen vorbei stürme? Je weiter ich im Feld nach vorne stoße, desto geringer sind die Tempounterschiede, doch noch immer sammle ich im Sekundentakt andere Teilnehmer ein. Ich fühle mich einigermaßen gut, trotz des für mich hohen Tempos. Es ist nicht leicht, aber ich traue mir zu, es noch eine Weile zu halten.
Nach vier Kilometern brauche ich erstmals mehr als 4 min./km. Es sind nur drei Sekunden, aber ich wundere mich, weil ich mir schneller vorgekommen war. Lange grübeln ist nicht möglich im Angesicht des unerwarteten Anstiegs, der sich vor mir aus dem Wald schält. Nach einer Rechtskehre am Rande des Zoos geht es ordentlich bergauf. Da erübrigt sich jede Überlegung hinsichtlich einer neuen Bestzeit. Ich merke, wie ich praktisch augenblicklich den Bereich der gerade noch erträglichen Belastung verlasse. Gerade die ersten Meter sind sehr steil. Das Laktat schießt mir in die Muskeln und mein Puls legt noch ein paar Schläge zu. Jetzt bin ich voll am Anschlag. Kurz vor dem Zenit des Hügels – mehr ist es dann doch nicht – glaube ich zu stehen.
Auf dem Stück bergab erhole ich mich ein bisschen, doch so ganz komme ich nicht mehr in den Bereich zurück, in dem ich vor dem Anstieg gelaufen bin. Kilometer fünf und sechs sind weit entfernt von bestzeittauglichem Tempo. Den VP bei Kilometer sechs ignoriere ich wie auch schon den vorherigen. Ich habe nun einen Bereich des Feldes erreicht, in dem die Läufer um mich herum in etwa das gleiche Tempo laufen wie ich. Allerdings muss ich einiges an Zeit gut gemacht haben, weil ich so weit hinten gestartet bin.
Die Streckenführung bleibt schön. Der Kurs führt uns entlang am Faulen See, der sich rechts von uns erstreckt. Der Fahrradweg lässt sich gut laufen und ich werde wieder schneller – bis uns der Streckenverlauf auf einen Trampelpfad den nächsten Hügel hinaufschickt. Es ist ein kurzer aber knackiger Anstieg. Spätestens jetzt habe ich nichts mehr zuzusetzen. Die Körner, die ich nach dem Hamburg Halbmarathon vor einer Woche noch hatte, habe ich gerade am Hang gelassen. Viele waren es eh nicht mehr.
Eigentlich ist es aber auch egal, die Zeit spielt heute keine große Rolle und jetzt geht’s einzig und allein noch darum, möglichst gut ins Ziel zu kommen. Was dabei hilft, ist der doch recht steile Abstieg, der uns an der Freilichtbühne vorbei zum Zielbereich bringt. Der Läufer vor mir hat noch weniger Reserven und ich schicke mich zum Überholen an. Auf den engen Wegen – teils Trails – ist das aber nicht immer möglich und ich muss warten, bis wir auf einen breiteren Weg im Schlossgarten kommen.
Schon aus einiger Entfernung glaube ich, meinen Namen zu hören. Nach kurzer Unsicherheit sehe ich die versammelten Jesche Runners samt übriger Familienbegleitung. Wie schön! Das hilft sogar noch mehr als bergab zu laufen. Ich lächele ihnen zu und nehme das Lächeln noch ein Stück mit auf die letzten Meter dieses Laufes. Schade, dass solche Begegnungen immer viel zu schnell enden.
9 km habe ich fast. Nun tut es weh. 10-km-Läufe sind auf ihre ganz eigene Art unangenehm. Sie sind zwar wesentlich kürzer als ein Halbmarathon oder gar ein Marathon, aber das Tempo ist beträchtlich höher. Damit sind sie nicht minder unangenehm, gerade zum Ende hin. Als ich in die Allee einbiege, die zum Start-/Ziel-Bereich auf dem Bertha-Klingberg-Platz führt, muss ich daran denken, wie ich vor einer Stunde hier Kind #3 (gerade 5 Jahre) auf seiner bisher längsten Strecke (1852 m) motiviert habe und es sich die Allee bravourös entlang gekämpft hat. Nun erfahre ich am eigenen Leib, wie sehr sie sich ziehen kann. Irgendwann habe ich auch sie hinter mir und laufe auf den offenen Platz. Hier ist ordentlich Stimmung. Nach 42 Minuten (netto) komme ich auf die Zielgerade. Das ist sehr ok und reicht in meiner Altersklasse sogar für einen 2. Platz.
Das ist aber alles Nebensache. Etwas ist heute wichtiger. Nervös warte ich auf meine Lauf- und Lebenspartnerin, deren Zieleinlauf von besonderer Bedeutung für uns ist. Erstmals hat auch Kind #4 mit seinen zweieinhalb Jahren einen offiziellen Lauf absolviert und ist wie seine drei Geschwister die Seemeile (1.852 m) gelaufen. So wird es, wenn Sylvie ins Ziel kommt, der erste Lauf, an dem wir als gesamte Familie – eben als Jesche Runners – erfolgreich teilnehmen. Der Zufall will es, dass es ausgerechnet bei diesem Lauf eine Familienwertung gibt, in der wir schließlich auf dem 9. Rang von 108 teilnehmenden Familien landen.
Die alte Heimat ich hoffe ja noch, dass man einfach mal die HM Distanz zweimal laufen lässt und damit Schwerin auch einen Marathon hätte