Geht ja gut los! Dass man die Polar aber auch jedes Mal kalibrieren muss, wenn man die Routen-Funktion nutzt. Nervig! Jetzt soll ich einen kleinen Ball über das Display rollen lassen, während ich bereits laufe. Der Startschuss für den 12. Fishermanstrail am Plauer See ist gerade gefallen. Nach 200 Metern beende ich das hoffnungslose Unterfangen entnervt und drücke die „Zurück“-Taste. Ha! Das hat es gebracht. Ich habe die Kalibrierung abgebrochen und die Aktivität samt Routing startet auch so. Bis auf die marginalen Änderungen, die seit meiner letzten Teilnahme an der Strecke vorgenommen wurde, kenne ich den Weg. Wird also im Zweifel auch ohne Kalibrierung gehen.
Weiterlesen: Euphorie und Ernüchterung beim Fishermanstrail 2025Jetzt kann ich mich aufs Laufen konzentrieren. Auf dem ersten ganz engen Trail am Ufer des Sees habe ich mich möglichst weit vorne einsortiert, weil ich gerne mein eigenes Tempo laufe. Womit wir schon beim Problem sind. Meine Herangehensweise ist ein fauler Kompromiss. Zwei Mal bin ich die 57 km lange Runde um den Plauer See bereits gelaufen, beide Male mit sehr guten Ergebnissen. Die Läufe zählen „leider“ zu meinen besten Ultraläufen überhaupt.
Und damit beginnt mein Dilemma. Meine Form ist in den letzten Monaten besser geworden, aber noch nicht auf dem Niveau, das ich 2022 und 2023 hatte. Wahr haben möchte ich das nicht. Der Wunsch nach einer Wiederholung meiner vorigen Zeiten ist zu groß. Die Herangehensweise an den Lauf ist ein Spagat zwischen Wunsch und Wirklichkeit, mit der ich wohl schon auf den ersten Kilometern zu schnell unterwegs bin. Es ist die typische Anfangseuphorie. Die Beine sind ausgeruht und ich fühle mich frisch wie lange nicht. Kaum Wehwehchen und eben eine ansteigende Form. Wer weiß, denke ich, vielleicht ist sie besser als ich mir eingestehe.
Ein kurzer Traum vom Siegen
Die ersten Kilometer reiße ich in einem 5er-Schnitt ab und liege entsprechend schnell ganz vorne. Nur eine Frau liegt noch vor mir auf dem engen Pfad am Ostufer. Vollgepumpt mit Endorphinen und von Euphorie beschwipst fantasiere ich schon vom Sieg. Sind heute vielleicht nur „langsamere“ Starter unterwegs? Möglicherweise. 2022 und 2023 war ich schon unter den ersten Fünf.
Andererseits lassen es die anderen vielleicht einfach nur langsamer angehen und verpulvern nicht schon sinnlos Energie bevor es richtig losgeht. So schlau sollte ich eigentlich auch sein – sollte. Nach zweieinhalb Kilometern erledigen sich die Fantastereien vorerst. Ein Quartett lässt mich hinter sich. Immerhin besitze ich so viel Verstand, ihnen nicht auf Gedeih und Verderb zu folgen. Die Vernunft ist zurückgekehrt und ich bin nicht gewillt mich vollends zu vernichten. Ich hatte mir sehr wohl Gedanken über eine sinnvolle Einteilung des Rennens gemacht.
Dazu zählt auch regelmäßige Verpflegung. Pflichtschuldig verschwinden drei Sahnebonbons in meinem Mund. Noch immer experimentiere ich herum, bekomme regelmäßig beim zweiten oder dritten Gel das Kotzen – wortwörtlich. Deswegen probiere ich immer wieder Alternativen zu Gels, heute einfach mal Sahnebonbons. Acht Gramm Kohlenhydrate pro Stück – damit kann man was anfangen. Ansonsten hoffe ich darauf, dass mir die besonders magenschonenden Gels von MNSTRY besser bekommen würden als beim letzten Trainingslauf.
Schöner wird’s nicht – Lenzer Höhe und Pätschsee
Nach neun Kilometern erreiche ich den ersten Verpflegungspunkt an der Lenzer Höhe. Seit meiner ersten Teilnahem ist das einer meiner persönlichen Höhepunkte der gesamten Runde. Der Blick von der Klippe über den See ist traumhaft. Heute schränken allerdings dichte graue Schwaden über dem See den Blick ein. Später soll es aufklaren und die Temperatur steigen. Momentan liegt sie noch wenige Grad über Null. Das kommt mir nicht ungelegen zwecks Kühlung.
Kurz vor dem ersten kritischen Wegpunkt wartet ein Viertel des Quartetts auf mich. Der auffällige rot-weiß gekleidete Läufer ist sich unsicher, ob er links abbiegen soll. Einige aus der Vierergruppe waren geradeaus gelaufen. Das ist definitiv falsch, bin ich mir dank vorheriger Teilnahmen sicher. Weil der Single Trail in Richtung Pätschsee nicht sofort erkennbar ist, war der Abzweig überdies im Briefing als Schlüsselstelle erwähnt worden und ist gesondert mit einem relativ auffälligen Pfeil markiert. Offenbar hat das genauso wenig geholfen wie die Tatsache, dass alle Teilnehmer den Track auch digital bei sich haben sollten.
Der „Fehler“ der anderen führt dazu, dass ich nun wieder relativ weit vorne laufe. Jippie! Ich mache trotzdem in meinem Tempo weiter und lasse den anderen Läufer wieder davonziehen. Es ist schön so allein auf dem Trail, der direkt am Ufer des Pätschsees entlang führt. So still und verlassen wie der See in den grauen Morgennebel gehüllt ist, hat es fast etwas Mystisches.
War’s das schon?
Kurz vor Zislow überhole ich dann auch den Läufer im gepunkteten Trikot. Er muss kurz in die Büsche. Dann bin ich wieder am Plauer See und überhole auch den ersten „Genussläufer“, der mit seinen Stöcken gerade eine kleine Brücke passiert hat. Teilnehmer, die sich selbst als langsam eingestuft haben, konnten eine Stunde früher auf die Strecke. Nach Süden führt der Weg direkt entlang des Ufers, bis es nach 19 km leicht nach Osten geht, um entlang des Suckower Sees einen unpassierbaren Streckenabschnitt zu umgehen.
Wir wurden vorgewarnt: Auf 200 – 300 m ist der Weg hier eine Sumpflandschaft. Braune Brühe hat sich in den Furchen gesammelt. Am Rande des Weges laufend lasse ich den Abschnitt halbwegs trockenen Fußes hinter mir. Sobald es wieder laufbar wird, geht’s für einen Kilometer kräftig hinauf. Auf dem Fahrradweg am oberen Ende wartet ein Begleiter auf seinem Rad. „Das war richtig fies!“, kommentiere ich mit Erleichterung, den Anstieg geschafft zu haben.
Die Leichtigkeit der Anfangskilometer, ist am kurz danach erreichten zweiten VP am oberen Ende des Tals der Eisvögel, verflogen. Mein Schritt hat spürbar an Dynamik verloren. Kurz lasse ich meine Startnummer notieren, dann setze ich meinen Weg fort, ohne von der Verpflegung zu nehmen. Vernünftig oder nicht, ich möchte in Bewegung bleiben. Es ist der starrsinnige Versuch aufzuhalten, was nicht mehr zu stoppen ist.
Mit jedem Meter werden die Zweifel größer
Zwei Stunden lang bin ich euphorisch das Ostufer des Plauer Sees entlang gelaufen, die Mahnungen von Uhr und Veranstalter ignorierend. Und habe wohl schon auf den ersten Kilometern überpaced. Wäre ich es doch ruhig angegangen. Der Läufer im rot-weißen Shirt überholt mich und fragt, wie viele noch vor uns liegen. Was ich nicht beantworten kann, erledigt kurz darauf eine mit dem Lauf verbundene Helferin. Aktuell bin ich auf dem dritten Rang. Toll – eigentlich. Aber es ist schon jetzt eine Information, die ich nur zur Kenntnis nehme, nichts was mich motiviert.
Zu sehr spüre ich, dass meine Kraftreserven nahezu aufgebraucht sind. Aber auch vor zwei Jahren hatte ich an gleicher Stelle einen zwischenzeitlichen Hänger. Wer weiß, ob ich mein aktuelles Tief nicht überwinden kann? Weiter geht’s. Wenigstens bis Plau, nehme ich mir vor. Doch schon vorher habe ich größere Probleme, als ich für kurze Zeit etwas abseits der Strecke herumirre. Kurz verfalle ich ins Gehen, ehe ich mich besinne.
Plau liegt fast genau mittig an der Westseite des Sees. Südlich davon, in Silbermühle, heißt mich bereits ein großes Schild in Plau am See willkommen, obwohl ich mich noch ein Stück weit südlich davon befinde. Unterhalb der prachtvollen Häuser direkt am Ufer des Sees werde ich immer langsamer, die Schritte mühevoller. Es ist quälend. Wieder verfalle ich ins Gehen. Wie zum Hohn kündigt mich eine Passantin ihrer Gruppe als Läufer an. Sie mögen doch bitte acht geben, ich hätte es eilig. Nicht so sehr im Moment, gebe ich peinlich-berührt zu.
Die Würfel sind gefallen
In mir bröckelt die Zuversicht. Nein, sie hat sich eigentlich schon vollständig aufgelöst. Der letzte Rest wird durch eine Gruppe von Mitläufern pulverisiert, die mich kurz vor dem Ort überholen. Nach 33 km stoppe ich die Uhr und beende die Aufzeichnung. Heute hat es keinen Sinn. Die Beine sind dicht und mein Kopf macht auch nicht mit. Das sehr gute Gefühl von heute Früh liegt schweißgetränkt am Ostufer.
Wie so oft habe ich mich auch ein bisschen selbst in diese Situation manövriert. Natürlich hatte ich keine Spitzenform, aber mehr als 33 km habe ich heuer schon auf dem Kasten. Das wusste ich von meinen zurückliegenden Trainingsläufen. Und so viel schwieriger war das Streckenprofil hier heute auch nicht, dass es als Ausrede taugte. Eher schon die hartnäckigen Erkältungen der letzten Wochen. Die hatten mich wirklich beeinträchtigt.
Noch am Morgen hatte meine Uhr dazu geraten, es heute ruhig angehen zu lassen, so hoch waren meine Werte beim orthostatischen Test. Und auch während des Laufs lag meine Herzfrequenz durchgängig über den zu erwartenden Werten. Da ist es wahrscheinlich besser, wenn ich vorzeitig aussteige, rechtfertige ich mich vor mir selbst.
Danke für Nichts!
Während ich auf einer großen Tafel am Ortseingang nach dem Bahnhof suche, erkundigen sich zwei weitere Läufer nach meinem Befinden. Im Gegensatz zu mir, bedauern sie meinen Ausstieg. Für den Moment bin ich fein damit. Ein Blick in die App zeigt, dass der nächste Bus in rund zehn Minuten vom Bahnhof abfährt. Ich laufe die Strecke, etwas mehr als einen Kilometer, aber vollkommen vergebens.
Online Fahrkarten zu kaufen, ist nicht vorgesehen und mit meiner virtuellen Karte auf dem Handy kann ich im Bus nicht zahlen. Mangels Bargeld lässt mich der Fahrer stehen. Nicht, ohne generös zu erklären, dass er mich eine Station mitgenommen hätte, aber nicht den ganzen Weg bis Alt Schwerin. Danke für nichts, du Jogi!
Eine Zugverbindung gibt es nicht, auch wenn hinter mir Geleise verlaufen. Der Schiffsverkehr über den See ist noch nicht wieder angelaufen und selbst wenn, würden die Schiffe nach Malchow fahren, nicht nach Alt Schwerin. Letzte Lösung wäre ein Taxi, aber meine App findet auch dafür in dieser Region kein Angebot. Aus zwei Gründen habe ich keinen Brock darauf, ein lokales Unternehmen direkt anzurufen: Am Ende kann ich auch da sicherlich nur wieder bar zahlen und irgendwas sträubt sich in mir, das Geld fürs Taxi locker zu machen.
Der lange Weg zurück
Scheiße noch eins, dann laufe ich halt bis zur Fischerei. Laut Google Maps sind das so rund 15 km. Super, hätte ich auch gleich im Rennen bleiben können. Sei’s drum, jetzt steige ich nicht mehr ein, habe eh schon genügend Zeit verplämpert. Schnell merke ich, dass es wirklich ganz gut ist, ausgestiegen zu sein. Meine Beine sind dicht, selten schaffe ich einen Kilometer am Stück. Trotzdem komme ich vorwärts. Und ab und an habe ich sogar Berührungspunkte zum Lauf. An zwei Stellen treffe ich auf Streckenposten, die die Überquerung der Bundesstraße sichern sollen.
Ich bin raus, erkläre ich ihnen, habe das auch inzwischen dem Veranstalter via SMS mitgeteilt. Nicht, dass die noch denken, ich bescheiße hier. Auszusteigen finde ich schon unangenehm genug, aber als Betrüger möchte ich auf gar keinen Fall dastehen. Es zieht sich und je mehr Kilometer ich schaffe, desto mehr hadere ich mit mir. Auch wenn mir meine Beine klar zeigen, dass es keinesfalls für eine richtig gute Zeit gereicht hätte, angekommen wäre ich. Und zwar gar nicht mal so weit hinten im Feld.
Irgendwann kommt mir exakt der Bus entgegen, dessen Fahrer mich nicht hat mitnehmen wollen. Ich grüße ihn mit dem Mittelfinger. Beim letzten Streckenposten treffe ich den Läufer im rot-weißen Oberteil wieder. Auch ihm erzähle ich, dass ich ausgestiegen bin, dann hänge ich mich an ihn ran. Es ist ein hoffnungsloser Versuch, ihn zu unterstützen. Sein Schritt ist mühsam, das sehe ich, aber trotzdem schaffe ich es nicht zu ihm aufzuschließen.
Bittersüßes Ende
Am letzten Camping-Platz kurz vor der Fischerei, wartet die Frau, die vorhin die Platzierungen durchgegeben hat. Sie erkennt, dass ich kämpfe und bietet mir an, mich ins Ziel zu bringen, nachdem ich meine Story erzählt habe. Dankend lehne ich ab, den Rest schaffe ich jetzt auch noch. Ehrenrettung für mich selbst. Dann wird es bitter. Ganz bewusst stelle ich das Laufen ein, als ich mich der Fischerei nähere. Das soll deutlich machen, dass ich nicht mehr mitlaufe. Trotzdem wird mir applaudiert. Das ist mir so unangenehm, dass ich so schnell wie möglich aufkläre.
Den Leuten ist es fast egal. Sie lassen sich auch nicht davon abbringen, mir eine Medaille zu verleihen. Die habe ich nicht verdient, winke ich ab. Keine Widerrede, die Medaille bekomme ich auch gegen meinen Willen. Das rührt mich und löst gleichzeitig ein bittersüßes Gefühl in mir aus. Gleichzeitig bin ich unglaublich sauer auf mich und stolz. Hättest du Idiot dich nicht doch um den See quälen können? Scheiß doch auf die Zeit! Jetzt habe ich auch 50 km in den Beinen und irgendwie nichts geschafft. Besser verpflegen hätte ich mich auch können. Das war heute schon wieder eine Katastrophe.
Nach etwas Smalltalk stehle ich mich davon. In der Sonne sitzend ein alkoholfreies Bier zu trinken fühlt sich an, als wäre ich im Ziel. Gleichzeitig fühle ich mich nicht dazugehörig und suche daher das Weite. Aber nicht nur deswegen, ich habe noch etwas vor. Im Laufe der Woche ist meine neuestes Spielzeug bei mir eingetrudelt – eine Drohne.
Warum das Laufen so wunderbar ist…
Schon vor dem Lauf hatte ich mir Stellen herausgesucht, an denen ich nach dem Rennen einige Aufnahmen machen wollte. Seit meiner ersten Teilnahme bin ich schwer begeistert von der Schönheit des Sees und möchte sie gebührend festhalten. Daran hat sich – DNF hin oder her – nichts geändert. Das Wetter könnte nicht besser sein. Sonne hat das Grau vertrieben und je weiter der Tag voranschreitet, desto länger wird das Licht. Spätestens das Ergebnis der Aufnahmen versöhnt mich mit dem Lauf – dafür hat sich der Abstecher allemal gelohnt! Ganz unabhängig von irgendwelchen Ergebnissen führt mich das Laufen immer wieder an Orte, an die es mich sonst nicht verschlüge und lässt sie mich auf eine tiefer gehende Weise erfahren.
In der Tat ist es genau jener Gedankengang, dass ich den ganzen Weg zurück auch irgendwie laufend hinter mich bringen muss, immer der Grund, wieso ich noch nie aufgehört habe.
Schönes Blog. Habe ich gefunden, als ich nach irgendeinem feinen Ultra im Herbst gesucht habe und hier bei der Sollingquerung gelandet bin. Du hast einen ähnlichen Schreibstil wie ich, bist allerdings wesentlich schneller – im Laufen. 🙂
Der Weg zurück tut irgendwie doppelt weh. Die Solllingquerung ist super, kann ich wärmstens empfehlen. Da machst du alles richtig. Geht halt gut hoch und runter. Aber dafür ist alles lautbar. Und das Büffet ist mega!
Werde mich demnächst mal durch dein Blog lesen!