Frag nicht, wie es mir geht. Ich bin OK
Lauftagebuch

Läuferischer Jahresrückblick 2024

Liebes Laufen, unsere Beziehung ist schwer belastet. Aus der Lust an unserer Partnerschaft ist eine Last geworden. Frisch verliebt waren wir schon lange nicht mehr, aber hatten eine tiefere, innigere Beziehung gefunden. Anfang des letzten Jahres ist unsere Liebe sogar wieder richtig aufgeflammt. Wie konnten wir also an diesen Punkt kommen, an dem ich sogar darüber nachgedacht habe, ob wir für eine Weile auf Abstand gehen? Ein bisschen Zeit für uns alleine, du verstehst?

Je länger das letzte Jahr dauerte, desto größer wurde meine Unzufriedenheit mit mir und dir. Es war nicht immer ein Fest, wenn wir uns trafen, aber doch wenigstens eine lieb gewonnene Routine. Viel Alltag, viel Monotonie, aber eben auch eine große Vertrautheit. Man kennt das. Ende des Jahres aber war etwas aus dem Gleichgewicht geraten. Immer mehr Überwindung kostete mich unsere Zweisamkeit. Unsere Verbindung war nach einem abgebrochenen Trainingslauf auf dem Nullpunkt angekommen. Mit dem Zug fuhr ich heim, ließ dich alleine stehen. Fuck you! Ich hatte den Spaß an dir – dem Laufen – verloren und den Glauben daran, dass es wieder aufwärts gehen könnte mit uns. Mir fehlte schlicht die Überzeugung, unsere Beziehung wieder auf ein vernünftiges Niveau bringen zu können.

Die Leichtigkeit in unserer Partnerschaft war verschwunden. Selbst unsere Routinetreffen waren quälend anstrengend. Natürlich war das nicht allein deine Schuld. Ständig dieser Schmerz! Seit Jahren macht mein Hamstring (gibt es dafür ein deutsches Wort?) linksseitig Probleme, besonders nach längeren oder intensiveren Einheiten. So weiterzumachen brächte nichts, das würde mich nicht schneller, besser oder fitter machen. Vielleicht sollte ich ganz aufhören mit dem Laufen? Für eine Weile wenigstens?

Ein unvergesslicher Januar

Ab jetzt wird's ultrageil
Ab jetzt wird’s ultrageil

Dabei hatte 2024 mit einem überragenden Januar begonnen. Meine Liebe zu dir hatte einen Schub bekommen. Gleich drei (!!!) Mal würden wir gemeinsam verreisen. Ein Ergebnis von Lagerkoller oder Midlife-Crisis. Portugal, Frankreich und wieder Portugal – die Azoren!!! – lagen vor uns. Die Aussicht verlieh mir Flügel. Den SuMeMa, einen 68 km langen Trailrun auf schwierigem Geläuf, schaffte ich in 8 Stunden. Genau die richtige Standortbestimmung für den Versuch, Ende Januar eine neue FKT (Fastest Known Time) auf dem Fishermen’s Trail in Portugal aufzustellen.

Der 75 km lange spektakuläre Wanderweg entlang Atlantikküste des Alentejos entpuppte sich als ein „Einmal-im-Leben-Erlebnis“. Der Fishermens’s Trail löste das Versprechen ein, einer der schönsten Fernwanderwege Europas zu sein. Menschenleere Strände über denen sich die markanten Steilklippen auftürmten, endlose Sanddünen, Küstenwälder und nur ein paar verschlafene Dörfer. Salz in der Luft, Wind in den Haaren. Eine Schönheit, deren Beschreibung meine Fähigkeiten übersteigt.

Durch dumme Fehler in der Getränkeversorgung wurde es aber auch eine echte Grenzerfahrung und nach schließlich 78 km unsere längste gemeinsame Zeit: Mit 11:05 Std. blieb ich nur wenige Minuten unter der Bestzeit, die inzwischen bei rund 8 Stunden liegt. Das schweißte uns definitiv noch enger zusammen. Erst durch deine Härte, liebes Laufen, wurde es das, was ich gesucht hatte. Ja, ich leide gerne ein bisschen. Hätte ich dich mit wandernd betrogen, es wäre nicht dasselbe gewesen.

Im Januar hatten wir wirklich viel gemeinsame Zeit verbracht. Zwei Tage und acht Stunden, über 500 km. Jeden Tag hatten wir gemeinsam verbracht. Das war nicht nur Quality-Time, aber zumindest ein besonderes Ereignis stand uns noch bevor, ehe wir wieder in den Alltag eintauchen mussten.

Verschleißerscheinungen trüben die Stimmung

Im Schatten dieses epischen Laufs, hatte ich uns gar nicht auf den zweiten FKT-Versuch vor Ort vorbereitet. Nicht weniger spektakulär als der Fishermen’s Trail war der „Seven Hanging Valleys Trail“ immerhin lediglich 12 km lang und sollte „Beifang“ werden. Mit fast 500 Höhenmetern stellte sich der Lauf aber als echtes Brett heraus, bei dem ich die FKT nur mit aller Mühe um wenige Sekunden unterbot. Immerhin hat sie Stand heute immer noch Bestand.

Vielleicht hatten wir es aber etwas übertrieben. Von heute auf Morgen bekam ich im Februar teils ernsthafte Schmerzen im rechten Knie, deren Ursache trotz ärztlicher Beratung nicht festgestellt werden konnte. Gleichzeitig nahmen die Schmerzen am linken Hamstring – meiner chronischen Problemzone – zu. Im Hinblick auf den im März anstehenden 80 km langen ecoTrail waren das keine gute Aussichten. Unsere Verbindung begann sich zu trüben.

Trotzdem konnte ich ein ordentliches Trainingspensum aufrecht erhalten und die Probleme an der Sehne mithilfe von Stoßwellentherapie deutlich zu vermindern. Das Knie besserte sich mit der Zeit von alleine vollständig. Gerade rechtzeitig vor dem ecoTrail war ich nahezu schmerzfrei. Kaum zu glauben! Die ärztliche Unbedenklichkeitsbescheinigung für den Lauf hatte ich mir eigentlich nur pro forma ausfüllen lassen, nicht ernsthaft an einen Start geglaubt. So konnte ich eigentlich nur gewinnen.

Paris mon Amour

In der Tat hatte ich schon während des Startes feuchte Augen. Schmerzfrei zu laufen tat so gut! Aber eine Baustelle blieb: Mein Magen! Sind wir zusammen, fällt mir das Essen schwer. Regelmäßig schlägst du mir auf den Magen. Ausgerechnet dieses Mal brachtest du mich so richtig an die Kotzgrenze. Und das schon nach zwei Stunden, einem Viertel des Weges. Die Flüssigkeitsaufnahme musste ich auf ein Minimum beschränken, von etwas anderem ganz zu schweigen. Leicht machst du es mir nicht!

Zumindest teilweise trage ich aber auch dazu bei. Meine Hausaufgaben hätte ich machen können. Das war wirklich ein echter Traillauf, mit massig Höhenmetern. Hätte ich recherchieren können, statt blauäugig ins Verderben zu rennen. Am zweiten VP nach 46 km war meine Zuversicht komplett verschwunden, meine Lust auf dich erloschen. Du hättest mir gerne gestohlen bleiben können.

Aus Trotz – oder Gewohnheit – blieb ich bei dir und erlebte eine der schönsten Ultralauf-Erfahrungen meines Lebens. Ich fand einen Schritt, mit dem ich mich arrangieren konnte. Nicht schnell aber kontinuierlich. Ohne ernsthafte Verpflegung war das schon ein kleines Wunder. So könnten wir ewige weitermachen, dachte ich, bis nach 72 km kalter Schweiß am ganzen Körper meinen Körper überzog und mich eine leichte Unterkühlung erwischte. Ohne Mampf, kein Kampf. Die Ankunft auf dem Eiffelturm blieb uns versagt.

Nicht, dass ich es dir übel nahm, ich war zufrieden mit dem Lauf. Trotzdem sanken unsere gemeinsamen Aktivitäten in den Folgemonaten auf ein „okayes“ Niveau bei max 250 km für die Monate April bis Juni. Unsere Treffen beschränkten sich auf relativ kurze Trainingsläufe. Fast schon folgerichtig ging die Harzquerung im April in die Hose, schaffte gerade einmal die Hälfte der 52 km. Eine Enttäuschung.

Erfüllung eines Lebenstraums

Besser wurde unsere Beziehung erst als im Juli das nächsten Laufabenteuer vor der Tür stand. Es war nichts weniger als die Erfüllung eines Lebenstraums. Seit Jahren waren die Azoren eines meiner Traumziele. Ob es dir ähnlich ging? Ein Wahl hattest du nicht, du bist ja überall dabei, wenn ich verreise. Mitgefangen, mitgehangen.

Es war relativ schnell klar, dass die Azoren nicht ganz dein Ding waren. Zu viele Berge und zu viel Luftfeuchtigkeit. Eine Lektion, die wir beide auf dem Trail um die beiden ikonischen Kraterseen Lagoa Azul und Lagoa Verde auf São Miguel auf schmerzhafte Weise lernen mussten. Dabei sollte das nur das Warmlaufen für ein noch viel gewagteres Unterfangen werden. Die neue FKT auf den knapp 20 km hatte ich als reine Formsache betrachtet, dabei aber gnadenlos unterschätzt, welche Auswirkungen die klimatischen Bedingungen und das Höhenprofil auf dich haben würde. Wenigstens das Erlebnis war einzigartig und die verfehlte Bestzeit dadurch locker zu verschmerzen.

Der Warnschuss saß trotzdem. Dass meine Form nicht so recht stimmte, hatte auch mein zweiter erfolgloser Versuch gezeigt, eine FKT auf dem Rennstieg zu laufen Nach weiteren Trainingsläufen auf der Insel wurden meine Bedenken immer größer. Durch die Luftfeuchtigkeit brachtest du mich noch mehr schwitzen als gewöhnlich. Wie sollte das erst auf der 53 km langen Überquerung der Insel Pico werden?

Pico Island Traverse

Immerhin hatte noch niemand eine Zeit für die Strecke reklamiert: Ankommen = Bestzeit. So konnte ich das Vorhaben ganz entspannt angehen. Eigentlich. So sehr hatte ich nämlich noch nie die Hosen voll, angesichts dessen, was ich vorhatte. Wie wäre es, wenn wir unsere Beziehung für den Rest der Reise ruhen ließen?

Wir hatten uns so schwer getan, dass ich mit Blick auf das zu durchquerende Hochplateau regelrecht Schiss hatte. Zu unrecht, wie sich zeigte. Uns spielte in die Karten, dass wir einen Tag mit reichlich Wolken erwischte und mich nicht stresste. Abgesehen von meinen fast schon erwartbaren Magenproblemen verlief die Überquerung der Insel weit besser als gedacht. Nach 6:53 Std. erreichte ich das Ziel am Ostende der Insel, leicht verbrannt und geplagt von massiver Übelkeit aber überglücklich. Du und ich, das war doch was!

Echte Liebe und eine FKT

Trotzdem kühlte es zwischen uns merklich ab. Es folgten sehr unstete Monate mit einem schwachen August und einem noch schwächeren September, was angesichts meiner Hochzeit vielleicht zu entschuldigen ist. Meine Aufmerksamkeit gehörte meiner echten Liebe.

Erst im Oktober und November fanden wir wieder intensiver zueinander, ohne je über 300 km pro Monat zu kommen. Zu wenig für mein Jahresziel von 4.000 km.

Ende November nahmen wir uns dann noch einmal eine FKT vor. Mangels Wettkämpfen war das in diesem Jahr unser Ding. Auf dem sog. Welfenweg Pattensen zur Marienburg, blieben wir zwar weit unter der bisherigen Bestzeit, aber auch hinter meinen Erwartungen. Mehr als eine knappe 5er-Pace sprang nicht heraus. Das ist eigentlich nicht mein Anspruch an mich und unsere Verbindung.

Neue Vorsätze

Unsere Partnerschaft stand auf dem Prüfstand. So weiterzumachen brachte nichts. Es war nur noch Frust. Entweder änderte ich etwas an unserer Beziehung oder zog einen Schlussstrich. Temporär zumindest. Eine Trennung auf Zeit.

Dann doch lieber Veränderung. Mehr Kontinuität, mehr Abwechslung. Ziele setzen, statt ungezielter Monotonie. Tempo, auch wenn es schmerzte. Endlich neue Impulse setzen. Stabilitäts- und Dehnübungen, Lauf-A-B-C.

Du und ich, das bleibt. Du gehst mir häufig auf die Nerven. Manchmal habe ich so gar keinen Bock auf dich. Aber du bist ein fester Teil meines Lebens und wirst es wohl auch bleiben.

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