Begonnen habe ich mit dieser Tradition exakt vor fünf Jahren, an meinem 40. Geburtstag und lauf mein Alter in Kilometern. Mit zunehmenden Alter wird die Distanz also immer größer. In diesem Jahr standen für mich 44 km an. Keine einfache Aufgabe und zwar aus zwei wesentlichen Gründen.
Grund eins: Der SuMeMa lag erst eine knappe Woche zurück und die 69 km steckten mir noch in den Beinen. Grund zwei: Das Wetter. Es hatte in den vergangen Tagen leichten Eisregen gegeben und die Wege waren demzufolge schlecht laufbar. Beides ließ mich einigermaßen besorgt auf meine lange Runde starten.
Frost und Eis schon auf den ersten Kilometern
Eigens für den Lauf hatte ich mir einen Tag frei genommen, um nicht wie im Vorjahr nachts in meinen Geburtstag laufen zu müssen. So konnte ich einigermaßen entspannt starten, ließ mir dennoch über Gebühr Zeit. Als ich endlich aufbrach, war es bereits halb zehn Uhr durch und absehbar, dass es knapp würde zum Kuchen wieder daheim zu sein.
Wie befürchtet spürte ich bereits auf den Anfangskilometern die Auswirkungen von Frost und Eis. An vielen Stellen konnte ich mich auf dem rutschigen Boden nicht richtig abdrücken, ohne dabei wegzurutschen. Der Abstoß musste bei jedem Tritt war wohldosiert werden.
Vorgenommen hatte ich mir in einer großen Schleife bis nach Celle zu laufen. Die fast identische Route hatte ich schon vor zwei Jahren genommen, als ich einen fünfzig Kilometer langen Trainingslauf bei ähnlichen Temperaturen gemacht hatte. Insofern wusste ich auch, was streckentechnisch auf mich zukäme.
Hart im Wind
Trotz der Schwierigkeiten beim Laufen verliefen die ersten zehn Kilometer überwiegend locker. Ich hatte sogar Muße, hinter Hänigsen einige bizarre Eisformationen zu bewundern, die durch den zuletzt gesunkenen Wasserstand entstanden sein mussten. Ein Stück weiter war es mit der Muße dann aber vorbei.
Permanenter Gegenwind auf einem schier endlosen Feldweg und ständiges rutschen auf der vereisten Fahrbahn ließen meine Laune und Zuversicht für eine Weile schwinden. Kurz blieb ich frustriert stehen und band endlich meinen seit Kilometern lose flatternden Schnürsenkel. Dreieinhalb Kilometer war ich den Feldweg unter diesen entnervenden Bedingungen bereits entlang gelaufen.
Weitere eineinhalb Kilometer später machte der Weg wenigstens einen Knick. Allerdings nur, um noch drei weitere Kilometer bis nach Bröckel zu führen. Wenigstens ein anderes Bild und kein Wind mehr im Gesicht. Obwohl die Temperatur „nur“ um den Gefrierpunkt lag, fühlte es sich durch den Wind kälter an.
Neue Energie nach einer kleinen Pause
Kurz hinter dem Ort hatte ich die Hälfte der 44 km geschafft, befand mich allerdings schon wieder auf einem schnurgeraden Wirtschaftsweg. Wenigstens kannte ich den noch nicht, weil ich in diesem Bereich die Route angepasst hatte. Die Blase drückte und ich nutzte die Zwangspause nach ungefähr 25 km, um kurz zu pausieren und in Ruhe einen „Energie-Block“ von Luchos zu probieren.
Ich hatte den Block beim bereits erwähnten SuMeMa in meinem prall gefüllten Finisher Bag, stand ihm aber etwas skeptisch gegenüber. Völlig zu unrecht, wie sich herausstellte. Die Konsistenz erinnerte mich an die guten alten Muh-Muh-Bonbons. Nebenbei hörte ich das Eis auf der naheliegenden Fuhse knacken und krachen.
Gestärkt ging es weiter, bis mich schon einen Kilometer später eine Ampel zur erneuten Zwangspause verdonnerte. Wieder verband ich das Nützliche mit dem Unausweichlichen und tauschte meine fast leere Flasche gegen eine volle. Nun aber! Genug der Pausen.
Schlechte Vorzeichen
Bis zum Kloster Wienhausen hatte ich 30 km hinter mich gebracht, die noch vorhandenen Absperrungen und Sandsäcke am Klosterpark zeugte davon, dass der hier verlaufende Graben bis vor Kurzem über die Ufer getreten war. Der Weg entlang dem Graben war noch immer von Eis überzogen. Es hätte mir Warnung sein sollen.
Bei der Planung der Route hatte ich einen kurzen Moment des Zweifels. War es klug, ausgerechnet diese Route zu wählen? Rund um Celle hatte es besonders viele Überschwemmungen gegeben und der Bereich südlich von Osterloh hatte mir schon in der Vergangenheit einen Strich durch die Rechnung gemacht, weil die Aller großflächig über die Ufer getreten war.
Nasse Füße Teil 1
Ich hätte auf mein Gefühl hören sollen. Nach fast genau 33 km begann ein regelrechter Eiertanz. Das Wasser der Aller hatte die am Fluss liegenden Felder, Wiesen und Wege überspült und schlüpfrige Eisflächen gebildet. Vorsichtig tapste ich über die spiegelglatten Eisplatten. Nicht überall war das Eis dick genug, um mein Gewicht zu tragen.
Weil ich davor zurückscheute, den Weg zurück einzuschlagen, nahm ich in Kauf, von Zeit zu Zeit mit den Schuhen durchs Eis zu brechen und mir nasse Füße zu holen. Nach einigen Minuten bereute ich diese Entscheidung. Noch immer hatte ich die Eisfläche nicht hinter mich gebracht und inzwischen ziemlich kalte Füße. Ich setzte darauf, dass sie sich wieder erwärmten, sobald ich wieder würde laufen können.
Das Stolpern, Rutschen und Einbrechen nahm direkt am Ufer der Aller ein Ende, der leicht erhöhte Damm lag oberhalb der überfluteten Gebiete. Jenseits des Flusses wähnte ich das Schlimmste hinter mir, brachte die folgenden Kilometer rasch hinter mich und fand mich nach 37 km erneut am Ufer der Aller.
Nasse Füße Teil 2
Stimmt, da war was! Die letzten Kilometer gen Celle führte meine Route parallel zur Aller, die auch hier weiträumig angrenzende Felder überflutet hatte. Der Weg war zur Eisbahn verkommen und ich rutschte abermals mehr schlecht als recht vorwärts. Immer wieder stoppte ich die Uhr, wenn ich Stellen umging, an denen ich mir erneut nasse Füße geholt hätte.
So kam ich peu a peu vorwärts, bis nach 38 km gar nichts mehr ging. Rechts von mir, dort wo der Weg einen 90°-Knick beschrieb, war mehr Bach als Weg, geradeaus eine ebenfalls halb überspülte Wiese. Zurückgehen war aber auch unsinnig, da ich schon eineinhalb Kilometer der Aller gefolgt war. Die Aussicht auf eine Wiederholung der Prozedur schreckte mich ab.
Schließlich entschied ich mich, dem Weg zu folgen. Ich würde locker bis zu den Waden versinken, malte ich mir aus, aber schaffte ich es bis zu der kleinen Brücke, die ich von hier sehen konnte, würde es besser werden. Ich stakte vorsichtig vorwärts, das kalte Wasser war alles andere als angenehm. Links von mir schien es etwas weniger tief zu sein.
Unfreiwilliges Eisbad
Mit einem „krack“ brach ich plötzlich bis zur Hüfte ein. Ich war links vom Weg in einen unter dem Eis verdeckten Graben geraten und konnte mich nur mithilfe des Gesträuchs davor retten noch tiefer einzusinken. Um Haaresbreite hätte ich mein Handy versenkt, das ungefähr auf Hüfthöhe in einer Tasche an der Tight steckte.
Ich zog mich aus dem Graben und kehrte auf den Weg zurück. Nass war ich jetzt eh schon und stapfte stoisch durch die Kälte. Was für eine Scheiße! Gut, dass mich niemand gesehen hatte. Das war einigermaßen dämlich. Wenigstens wurde es hinter der Brücke tatsächlich besser. Die Wege waren hier frei von Eis und ich konnte endlich wieder laufen. Das wärmte.
Meine Handschuhe waren bei der Aktion komplett durchnässt worden und ich verstaute sie in den Taschen meiner Jacke, versenkte die Hänge in den Ärmeln meiner Jacke und setzte mich wieder in Bewegung. Eine Absperrung stoppte mich erneut. Zur Stadt hin war der Weg entlang der Aller offenbar gesperrt. Hätte man nicht auch ein Schild auf der anderen Seite aufstellen können? Das hätte mir das Eisbad erspart. Die Schlittschuhläufer auf den überfrorenen Dammaschwiesen hatten bei diesen Bedingungen in Punkto Schuhe die Nase weit vorne.
Entlang des Krankenhauses näherte ich mich zügigen Schrittes meinem Ziel. Die Eskapaden an der Aller hatten allzu viel Zeit gekostet, kalt war mir und ich wollte mich aufwärmen. Ich hatte es schon geahnt: Als der Bahnhof in Sicht kam, hatte ich erst knapp 43 km auf der Uhr. Also schnell noch eine kleine Runde durch den Park, die 44 voll machen und dann schleunigst ins geheizte Bahnhofsgebäude. Die Geburtsagstorte hatte ich mir redlich verdient.