Lauftagebuch

Langsam laufen lernen

Ich bin verunsichert. Als ich im letzten Jahr erstmals nach längerer Marathon-Abstinenz wieder systematisch für einen Marathon zu trainieren begann, hatte ich mich sehr schnell auf einen Trianingsplan festgelegt und folgte diesem ohne große Zweifel. Diese kamen erst, nachdem ich in Hamburg einmal mehr gegen die Wand lief. Es war wie immer: 30 Kilometer lang geht es mehr oder weniger gut, dann kommt der große Einbruch.

In der Vorbereitung auf den Herbstmarathon in Dresden stellte ich dann mein Training um. Die langen Läufe machte ich jetzt noch schneller – entgegen der allgemeinen Trainingsempfehlungen, aber im Einklang mit meinem Plan. Klingt rückblicken betrachtet bescheuert, aber das war es, was ich tat. Die Zweifel allerdings begleiteten mich fortan und wurden erneut bestätigt. Anderer Lauf, gleiches Muster.

Man sollte meinen, es müsste mir entsprechend einfach fallen, mein Training umszustellen. Zumal die eigens für diesen Zweck durchgeführte Leistungsdiagnostik genau das zu Tage gefördert hat, was eine leise aber beharrliche innere Stimme mir schon immer eingeflüstert hat. Ich trainiere zu schnell. Deutlich.

Nichtsdestotrotz tue mich schwer mit der Umstellung meines Trainings. Ich zweifle an meinem Plan, den ich mir erstmals selbst zusammengestellt habe, an der Gestaltung des Trainings, an allem. Aber was habe ich schon zu verlieren? Die Tempohärte habe ich, das ist nicht die Frage. Gescheitert bin ich immer daran, dass ich die Leistung nicht über die gesamte Zeit aufrecht erhalten kann, also an meiner zu schwachen Grundlagenausdauer. Allein das Wissen darum beseitigt nicht meine Zweifel, falsch zu trainieren, gar zu langsam zu laufen. Wenn es das überhaupt gibt. Und was habe ich denn zu verlieren? Wie gut bin ich denn bisher mit meinen Ansätzen gefahren? Nicht sonderlich. Also hat das langsame Laufen mindestens eine Chance verdient, sagt mein rationales Ich.

Die gleiche Stimme, die damals mahnte, dass ich zu schnell laufe, setzt mir aber jetzt den Floh ins Ohr, zu langsam zu sein, nicht das Richtige zu tun. Ganz zu schweigen vom Läuferstolz. In 6er-Pace und langsamer meine Runden zu drehen, erhöht nicht nur die Dauer meines Trainings merklich, es kostet mich auch echte Beherrschung. Läufer, denen ich mich überlegen fühle, laufen an mir vorbei und ich denke: Den könntest du ganz locker abhängen – um Längen! Gut, dass ich meine Läufer vornehmlich zu Zeiten mache, in denen wenige „Artgenossen“ unterwegs sind, die mich in Versuchung führen könnten. Klaus Molidor von sportaktiv.com hat meine Gefühlslage präzise auf den Punkt gebracht:

„Ist das schon Laufen oder noch Gehen? Gedanken, die einem auf der ersten Laufrunde nach einer Leistungsdiagnostik kommen. Die hat schonungslos festgestellt, dass es mehr Grundlagenausdauer braucht…“.

Klaus Molidor, sportaktiv.com

Exakt das ist es, was ich empfinde. Mein Läuferstolz ist verletzt. Fast schon flehentlich kommen mir meine E-Mails vor, die ich im Laufe der letzten knapp vier Wochen an Henning geschickt habe. Muss ich wirklich so langsam laufen, müsste ich nicht bei höherem Laktatwert unterwegs sein? Und auch mein Puls ist viel niedriger als die Vorgabe von dir. Henning hat meine Leistungsdiagnostik durchgeführt und damit auch die Vorgaben für meine Trainingsbereiche erstellt und beantwortet geduldig meine Fragen. Ich habe den Eindruck, er kennt das Spiel. Entgegen kommt er meinem Wunsch trotzdem oder gerade deswegen nicht. Mach so weiter in der niedrigen Intensität, du weißt, warum.

Ja, ich weiß es! Und ich akzeptiere es. Anfangs zähneknirschend, mit der Zeit besser. Je länger ich ich langsam laufe, desto weniger lahm komme ich mir vor. Beim letzten langen Lauf kam mir eine 6er-Pace irgendwann sogar richtig flott vor. Sogar positive Aspekte kann ich inzwischen entdecken. Die Erschöpfung nach den Trainings ist merklich geringer als im letzten Jahr. Das gilt auch für die langen Läufe über 30 km. Schmerzen habe ich nur von der sehr langen, montonen Belastung, die auch mental fordernd ist. Unter diesen Voraussetzungen könnte ich mir sogar vorstellen, auf fünf Einheiten die Woche zu gehen. Ein Gedanke, der mich bisher immer geschreckt hatte. Zu groß war die gefühlte Belastung bereits bei vier Läufen in der Woche. Vielleicht greife ich ja doch noch auf den Plan von Peter Greif zurück, um mich in den letzten acht Wochen fit für den Gutenberg Marathon in Mainz zu machen.

Im Erfolgsfall kann ich dann zwar nicht mehr nachvollziehen, welche der beiden Maßnahmen – langsames Laufen oder der Greif-Plan – den Durchbruch gebracht hat. Doch was kümmert mich das dann? Die Frage kann meinethalben bis zum Herbstamarathon unbeantwortet bleiben. Und dann sind die Zweifel hoffentlich einer neuen Zuversicht gewichen und gehören für immer der Vergangenheit an.

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